Da ich von dem Bild keine gemeinfreie Darstellung im Internet gefunden habe, hier der Link:
https://bombmagazine.org/articles/1985/01/01/number-33/
Ein abstraktes Gemälde in Schwarz und Weiß. Auf einem hellgrauen Untergrund breitet sich ein schwarzes Gewirr aus Linien und Klecksen aus. Darüber legen sich weiße Schlieren einer zähflüssiger wirkenden Farbe.
Das schwarze Liniennetz ist in der Bildmitte sehr dicht, so dass es eine Fläche ergibt, zu den Bildrändern hin dünnt es sich aus. Man erkennt die einzelnen dünnen und weniger dünnen Linien. Die Linien verlaufen kreuz und quer in alle Richtungen. Sie sind zumeist gerade, nicht gekrümmt, wie Farbspritzer.
Darüber die weißen Linien sind hingegen geschwungen, manche bilden Schleifen, manche verlaufen fast parallel zueinander, auch sie von unterschiedlicher Stärke. Die Kleckse wirken wie Verdickungen.
Wenn wir abstrakte Bilder beschreiben, merken wir, wie uns dafür die Worte fehlen. Unsere Sprache ist eminent gegenständlich. Aber auch gegenständliche Bilder, sogar Fotografien, haben einen malerischen Aspekt. Wie grob oder fein, scharf oder unscharf sie sind, wie ihre Farbigkeit beschaffen ist oder wie kontrastreich ihr Schwarzweiß ist, trägt zur Wirkung des Bildes bei. Den abgebildeten Gegenstand können wir bis ins Detail beschreiben, aber wenn wir es dabei belassen, behalten wir den blinden Lesern die Wirkung und damit wahrscheinlich die Bedeutung des Bildes vor.
In der Beschreibung oben habe ich versucht, Wörter zu vermeiden, die gegenständliche Assoziationen hervorrufen, Assoziationen von Gegenständen, die ja nicht im Bild sind. Daher habe ich mich auf die Materialität der Farben verlegt oder jedenfalls dessen, was ich davon auf der zweidimensionalen Abbildung sehe. Das erscheint mir in diesem Fall eine gute Lösung zu sein, da Jackson Pollock die Materialität des Bildes durch die sichtbaren Überlagerungen von Farben sichtbar unterschiedlicher Konsistenz selbst betont.
Worüber ich sonst schreiben kann, ist die Wirkung des Bildes auf mich. Dies jedoch in einer Sprache zu tun, die im Leser keine gegenständlichen Assoziationen hervorruft, ist kaum möglich.
Es kann sein, dass Jackson Pollock es auch nicht wünschenswert gefunden hätte. Er hat dem Bild nur eine Nummer, keinen Titel gegeben, wissend, dass die Vorstellung des Betrachters sich daran wie an den sprichwörtlichen rettenden Strohhalm klammern würde. Er malte in einem Trance ähnlichen Zustand ohne Pinsel, indem er vornüber gebeugt die Farbe auf den am Boden liegenden Malgrund tropfte und spritzte. Es kann daher sein, dass er sich wünschte, dass der Betrachter das Bild auch sozusagen begriffslos betrachtet, ebenfalls wie in einer Trance. Reines Schauen. Dieses ist jedoch per definitionem nicht in Worte zu fassen.
Dies vorausgeschickt, versuche ich, dem blinden Leser meine Assoziationen zu beschreiben. Als Leser dieses Blogs wissen Sie, dass das, was ich sehe, ohnehin nicht identisch ist mit dem, was ein anderer in dem Bild sieht. Umso mehr aber bei einem abstrakten Bild. Linien und Kleckse, wie gesagt.
Das erste, woran mich das schwarze Liniengewirr erinnerte, war ein Gestrüpp. Und da die dünnen Farbspritzer teilweise von den etwas stärkeren abzuzweigen scheinen, ein Dornengestrüpp. Dann fiel mir auf, dass es sich von der flächigen Mitte aus in alle vier Richtungen ausdünnt, wie eine Luftaufnahme einer Stadt mit Ausfallstraßen und Vororten, dachte ich.
Die weißen Linien darüber sind viel weicher, wie organische Verzierungen, schwungvolle Ranken und Schlingen, die sich über die Stadt legen. Im linken Teil des Bildes bilden sie ahnungsweise eine Form – oben zwei Auswölbungen, links und rechts, in der Mitte eine Vertiefung, von den Auswölbungen aus zwei nach innen geschwungene, nach unten auf einander zulaufende Linien, die sich jedoch nicht berühren, da sie über den Bildrand hinausgehen, so dass die Form unten eine Öffnung behält. Die Form war tatsächlich das erste, was mir an dem Bild ins Auge fiel, das ungefähr Gegenständlichste eben, und schlagen Sie mich, aber mein erster Gedanke war: wie die schematische Darstellung eines Muttermunds. Ohje, und mit diesem Bild im Kopf lasse ich Sie nun zurück:-)