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Interview mit Tanzfähig: Initiative für mehr Körperliche Vielfalt im Zeitgenössischen Tanz

Tanzende mit und ohne Rollstuhl

Wer genau steckt eigentlich hinter tanzfähig und wie beschreibt ihr / beschreibst du deine eigene Beziehung zum Tanzen?

Hinter tanzfähig stecken wir, Evelyne Wohlfarter und Bernhard Richarz. Seitdem wir 2010 begonnen haben, unsere Vorstellungen zum Tanz gemeinsam umzusetzen, haben wir tanzfähig zur jetzigen Initiative für mehr körperliche Vielfalt im zeitgenössischen Tanz entwickelt.

BERNHARD: Meine Beziehung zum Tanz hat sich über die Zeit hinweg verändert. Derzeit interessiert mich vor allem, wie Menschen im Tanz nicht-sprachlich kommunizieren, wie sie sich verständigen können, wenn sie dafür allein ihren Körper nutzen, wie sie dabei auf Inhalte zurückgreifen, die sie in ihrem Körpergedächtnis abgespeichert haben, und wie sie sich darin außenstehenden Dritten, dem Publikum so mitteilen können, dass sie verstanden werden.

EVELYNE: Es fällt mir nicht leicht, meine Beziehung zum Tanz in Worten zu beschreiben. Ist der Tanz nicht eine eigene Sprache? Seit unserer letzten Produktion „Als der Flieder blühte, …“ wurde es für mich sehr deutlich, dass unser Körper alles Erlebte speichert und es dauerhaft aufzubewahren vermag. Sehe ich mich – sowohl in der pädagogischen Arbeit, als auch im choreografischen Schaffen – als Raumöffnerin: Ich schließe einen Raum auf und bringe die Geschichten aus dem Körper ins Tageslicht. Faszinierend finde ich, dass diese Geschichten ohne jegliche Verbalisierung körperlich über Generationen weitergegeben werden.

 

Wie bist du [seid Ihr] auf die Idee gekommen tanzfähig zu starten?

BERNHARD: Ich wollte wieder tanzen, aber wegen meiner Behinderung war es damals für mich nicht vorstellbar, den allgemein angebotenen Unterricht zu besuchen. Da lernte ich 2003 in Bremen auf der Sommer-Uni „DanceAbility“ kennen und fühlte mich sehr davon angesprochen. Da es das in Berlin nicht gab, machte ich 2006 in Wien bei Alito Alessi das sog. DanceAbility Teacher Training und begann danach mit tanzfähig.

EVELYNE: Im Rahmen meines Studiums der Musik- und Tanzpädagogik hatte ich mich intensiv mit dem Thema Inklusion und Tanz auseinandergesetzt. Mein Traum war es, eines Tages eine inklusive Tanzcompanie zu leiten. Nachdem ich in 2009 Berlin angekommen war, recherchierte ich in der Szene und fand nichts, das meinen Ideen entsprochen hätte. So organisierte ich ein wöchentliches Tanztraining für Erwachsene und Jugendliche in Neukölln. Ich besuchte auch Bernhards Training, welches unter dem Namen tanzfähig lief.

BERNHARD: Ja, ja, mein Training entsprach auch nicht so ganz Deinen Vorstellungen.

EVELYNE: Wir verstanden uns sehr gut und in vielen Stunden Gespräch merkten wir, dass wir gleiche Vorstellungen hatten, worauf es uns im Tanz ankam. So wagten wir unseren ersten gemeinsamen Workshop und gestalteten einen Flyer mit unser beider Termine für das Training darauf, was vorerst noch getrennt voneinander lief. Dabei blieb es nicht, und so wuchs der Wunsch, die Sache größer werden zu lassen; ein Logo und eine Website entstanden. Es war eine sehr fruchtbare Zeit, weil wir Begriffe finden mussten, die eindeutig bezeichneten, was wir wollten. Der Namen tanzfähig blieb, und so nannten wir unsere Initiative.

 

Ihr habt dieses Jahr zehnjähriges Bestehen, wie hat sich das Projekt seit 2006 weiter entwickelt und was hat sich verändert?

EVELYNE: tanzfähig hat sich immer wieder im Wandel befunden und wird sich weiter wandeln. Das Samenkorn, das Bernhard 2006 mit dem wöchentlichen Training gelegt hat, ist heute eine schöne Pflanze…

BERNHARD: Das liegt auch daran, dass Du kräftig gedüngt hast. Anfangs war tanzfähig noch stark von DanceAbility geprägt, also dem Konzept der gemeinsamen Tanzimprovisation von Menschen mit und ohne Behinderungen.

EVELYNE: Mir war es wichtig, andere Formen des zeitgenössischen Tanzes einzubringen und das Künstlerische zu fokussieren. Darüber merkten wir, dass Behinderung für uns keine Kategorie war, die für uns zählte, sondern es war vielmehr die Vielfalt der Körper.

BERNHARD: Was wir jetzt machen, lässt sich gut mit dem Begriff „Ästhetik der Differenz“ bezeichnen. Wir wollen gerade die Verschiedenheit der Körper sichtbar machen, uns von ihrer Vielfalt leiten lassen und ihre Schönheit stimmig zusammenführen.

 

Viele Leute stellen sich unter tanzen entweder klassischen Paartanz oder „rumhopsen“ in der Disco vor, was für eine Art von Tanz macht ihr?

Wir bieten zeitgenössischen Tanz an. Es geht dabei nicht darum, von außen gesetzte Schritte nachzuvollziehen, sondern in der Tanzimprovisation Bewegung zu entwickeln, die dann für sich stehen oder in einer Choreografie eine feste, wiederholbare Form bekommen kann.

 

Viele Menschen würden wahrscheinlich gerne tanzen, aber denken sie sind nicht athletisch genug, zu alt, zu unbeweglich, zu langsam … Wer kann bei euch mittanzen und wie läuft es ab, wenn jemand zum ersten Mal zu einer eurer Tanzstunden kommt?

Wenn jemand Bedenken hat zu tanzen, dann müssen wir ihn oder sie ermutigen, es trotzdem zu versuchen. Was jemand dafür braucht, ist sicher immer ganz unterschiedlich, und unsere Aufgabe als Anleitende ist es, das zu finden, was jemanden weiter bringt. Es gibt für uns im Tanz kein „zu alt“ oder „zu unbeweglich“: Dennoch kann sein, dass jemand, der es nicht gewohnt ist zu tanzen, sich gerade bei den ersten Malen so erlebt. Das kann für die Betreffenden ganz schön hart werden. Wer dann bereit ist, seine Vorstellungen von sich und von dem, was Tanz bedeutet, zu überprüfen und zu verändern, der oder die kann bei uns gut mittanzen. Mit anderen Worten: Tänzerische Vorerfahrungen, Behinderungen jeglicher Art oder verschiedene kulturelle Prägungen sind uns willkommen, aber nicht erforderlich.

 

Wo und wann tanzt ihr?

Wir bieten derzeit ein wöchentliches Training „Zeitgenössischer Tanz in körperlicher Vielfalt“ an. Es findet jeden Donnerstag von 18:30 bis 20:30 Uhr im Ada-Studio, Uferstr. 23 / Badstr. 41a in Berlin-Wedding statt. Die Anmeldung dafür geschieht über: bernhard@tanzfaehig.com

Außerdem gibt es immer wieder zusätzliche Veranstaltungen. Die Termine dazu stehen dann auf unserer Website: http://www.tanzfaehig.com

 

Man kann euch auch für Veranstaltungen in Institutionen, Feste und Aufführungen buchen. Wo seid ihr schon überall aufgetreten?

Unser Konzept haben wir schon auf verschiedenen Tagungen von Deutschland bis Brasilien vorgestellt. Ebenso haben wir schon im In- und Ausland unterrichtet. Von unseren künstlerischen Produktionen hat vor allem der Video-Tanz „triptychon“ international Verbreitung gefunden und sogar einen Preis gewonnen. Durch unsere Internet-Präsenz sind wir weltweit vertreten…

 

Kennt ihr ähnliche Projekte in Deutschland oder weltweit, für Interessierte, die nicht in Berlin wohnen?

Natürlich ist das, was wir machen, nicht einzigartig. Insofern gibt es andere, ähnliche Projekte. Wenn wir da jetzt anfangen aufzuzählen, können wir in Teufels Küche kommen, weil wir sicher jemanden nicht nennen, der meint, an dieser Stelle genannt werden zu müssen.

 

Ihr versucht allen Menschen die Interesse haben, die Möglichkeit zu geben Teil eurer Gruppe zu sein. Wie funktioniert das? Um ein extremes Beispiel zu bringen: Können Blinde, Gehörlose und Rollstuhlfahrer_Innen zusammen tanzen und wenn ja wie kommunizieren sie miteinander?

EVELYNE: Wie Menschen miteinander kommunizieren können, die unterschiedliche körperliche Voraussetzungen haben, ist gerade das, womit wir uns befassen. Das kann schon auch mal schwierig werden und einige Zeit brauchen, bis wirklich eine tänzerische Kommunikation entsteht.

BERNHARD: Die Kommunikation im Tanz ist nicht dadurch erschwert, dass jemand behindert ist. Angesichts der verschieden körperlichen Bedingungen, die bei uns zusammen kommen können, fällt sie manchmal sogar Nicht-Behinderten schwerer. Ich denke an eine nicht-behinderte Tänzerin, die schon vor Beginn des Unterrichts umgekehrt ist, weil es ihr zu viele Rollstühle waren. Oder an die Teilnehmerinnen, die sich nach einem Unterricht, wo wir viel in körperlichem Kontakt getanzt hatten, darüber empörten, es sei für sie übergriffig gewesen, ohne zu verstehen, dass gerade die viele Berührung notwendig war, weil eine andere Teilnehmerin sonst nicht mitbekommen hätte, was im Studio geschah, weil sie nicht sah und schlecht hörte. Darüber wurde mir klar, dass manche, die so ganz nichtbehindert erscheinen, für das, was wir machen, viel mehr behindert sind als offensichtlich Behinderte.

EVELYNE: Kommuniziert wird im Tanz mit dem Körper und dem ihm gegebenen Möglichkeiten. Dafür braucht es Offenheit für die Anderen und Neugierde, ungewohnte Kommunikationswege beschreiten zu wollen; übrigens auch Eigenschaften, die mitbringen sollte, wer bei uns mittanzen will. Aus unserer Erfahrung können wir manche Wege aufzeigen, die möglich sind. Oft wissen wir aber auch nicht, wie die unterschiedlichen Menschen unsere Angebote annehmen. Beim Unterrichten sind wir daher gefordert, ständig aufmerksam zu sein und entsprechend zu antworten. Wir lernen immer wieder Neues dazu: Unsere Workshopreihe „Aufbruch ins Unerwartete“ benennt sehr gut, worum es für alle Beteiligten geht.

 

In euren Performances müssen sich die Tanzenden nicht unbedingt synchron bewegen, da es nicht um Uniformität geht, gibt es trotzdem Regeln oder zumindest Schritte, die man lernen muss?

Eine Performance folgt einer Choreografie. Da arbeiten wir schon auch mit wiederholbaren Strukturen und ganz genau festgelegten Bewegungsfolgen. Es kann aber auch sein, dass für die Performance nur die emotionale Qualität festgelegt ist, in der eine Bewegung erfolgen soll, oder die Form der Interaktion, aber nicht der Inhalt. Die Freiheitsgrade sind verschieden. Das kann bis zu einer weitgehend offenen Improvisation gehen, wo vorher nur die Mitwirkenden feststehen und vielleicht noch ungefähr die Dauer der Performance, aber nicht, wie sie miteinander tanzen.

 

Was können Teilnehmende bei euren Tanzveranstaltungen sonst noch lernen und für sich selbst mitnehmen, abgesehen vom Tanzen natürlich?

Selbstvertrauen, soziale Kompetenz, Spontaneität, Körperwahrnehmung und Körperausdruck, Entspannung und Aufmerksamkeit. Aber das ist alles nicht spezifisch für uns, sondern gilt allgemein für jedes Tanzen.

 

Steht für euch eher Tanz als Kunstform, Tanzen als Freizeitaktivität oder der Aspekt der Inklusion und Vielfalt im Vordergrund von tanzfähig?

Im Vordergrund steht die körperliche Vielfalt im Tanz als Kunstform. Inklusion ist ein Begriff der Gesellschaftspolitik und hat unseres Erachtens für Kunst keinerlei Aussagekraft. Nur wenn wir uns irgendwo erklären müssen, wo jemand gar keine Ahnung hat, sagen wir dann auch mal, dass wir integrierten oder inklusiven Tanz machen. Wir tanzen einfach mit allen Menschen, die Lust haben, mit uns zu tanzen. Nennt es, wie ihr wollt.

Wo kann man euch demnächst live sehen?

Beim Tanztag MOVEYOURTOWN in Hannover im April wird Videomaterial von uns zu sehen sein. Bernhard wird im Mai Referent bei einem Seminar am Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz in Berlin sein, wo sich die Studierenden mit verschiedenen Modellen des integrierten Tanzes befassen werden. Im Juni werden wir in Helsinki auf dem Festival MeetShareDance unterrichten. Evelyne wird im Juli auf einem Symposium an der Universität Mozarteum in Salzburg einen Vortrag über tanzfähig und unsere Arbeit mit neuen Medien halten. – Im wöchentlichen Training in Berlin kann man uns außerdem ständig live erleben.

 

Spielen Kostüme und Musik in euren Aufführungen eine Rolle?

Da bei einer Aufführung dem Publikum etwas vermittelt werden soll, machen wir uns bei einer Produktion wie andere Künstler_Innen natürlich auch Gedanken, wie die Aussage durch Musik, Kostüm oder Bühnenbild verstärkt werden kann. Das gehört einfach dazu.

 

Was plant ihr für die Zukunft von tanzfähig beziehungsweise was würdet ihr euch wünschen?

EVELYNE: Wir würden uns noch mehr interessierte Menschen wünschen, die mit uns aufgreifen und umsetzen, was uns bei tanzfähig wichtig ist. Gut besuchte Tanzstudios bei unserem Training und den Workshops. Eine Produktion, geleitet von einem renommierten Choreografen. Weiteren nationalen und internationalen Austausch. Auch planen wir ein Nachwuchsprogramm, das allerdings noch in Kinderschuhen steckt. Damit wollen wir Menschen mit und ohne Behinderungen ansprechen, die sich unter den Bedingungen der körperlichen Vielfalt ausdrücken wollen.

BERNHARD: Ich denke, wenn wir unseren Ansatz der körperlichen Vielfalt im Tanz weiterführen, werden wir noch mehr zum Subjektiven kommen, wie es die Einzelnen im Tanz bewegt und miteinander verbindet. Und wir werden sehen, was wir dafür brauchen bzw. was wir dafür bekommen, um unsere Vorstellungen zu verwirklichen.

 

Weitere Infos:

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Foto copyright Martin Neumann

 

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Jan van Eyck – Die Arnolfini-Hochzeit

STATUS: SCHON BESCHRIEBEN

Dies ist das Bild Jan van Eycks, das Ewa zu ihrer Beschreibung von Siljas Spiegelfoto heranzieht.

Jan van Eyck: Die Arnolfini Hochzeit

Bildbeschreibung von Cord:

Das Gemälde zeigt ein stehendes Paar in einem nicht sehr großen Zimmer, links der Mann und rechts die Frau. Das Paar wirkt recht ernst, das gesamte Bild etwas streng. Ich habe den Eindruck, die beiden Menschen stehen etwas steif da. Sie tragen Kleidung, wie sie wohl bei reichen Bürgern im 15. Jahrhundert zu festlichen Anlässen üblich war, sichtbar wohlhabend, aber nicht protzig. Die beiden reichen einander die Hände, genauer, sie  strecken sie sich seitlich auf Bauchhöhe entgegen. Die Frau hat ihre geöffnete rechte Hand auf seine ebenfalls geöffnete Linke gelegt. Beide haben sehr kleine, zarte Hände. Er hält seine rechte, flache Hand vor seiner Brust hoch. Die linke Hand der Frau ruht auf ihrem sehr dicken Bauch. Sie sieht hochschwanger aus.

Der Bildausschnitt zeigt nur wenig mehr als die beiden Personen. Das Zimmer, in dem sie stehen, wirkt dadurch sehr eng.  Es ist sparsam eingerichtet und wirkt alltäglich. Links neben dem Mann befindet sich im Hintergrund ein Fenster, vor dem ein kleiner Tisch steht, auf dem einige Äpfel liegen, rechts, schräg hinter der Frau steht ein großes rotes Himmelbett.

In der Mitte sieht man durch die beiden Figuren hindurch oben einen vierarmigen Deckenleuchter aus Messing, in dem nur eine Kerze steckt, die aber brennt, obwohl es Tag ist.

Darunter steht, quasi auf die hintere, graue Zimmerwand geschrieben, „Johannes v Eyck fuit hic“ und darunter „1434“. (Wobei ich die geschwungen geschriebene Jahreszahl allein kaum hätte entziffern können. Aber in der Wikipedia steht es so. Dort auch  etwas zur Deutung des Bildes, sowie Literaturangaben.)

Und darunter wiederum der Spiegel, den Ewa in ihrem Beitrag erwähnt. Man sieht dort das stehende Paar von hinten und zwischen ihnen hindurch den Maler und aufgrund der Wölbung des Spiegels einen weiteren Bildausschnitt, also mehr vom Zimmer, als auf der ersten Bildebene. So werfen wir im Spiegel, winzig klein, einen Blick auf das gemachte Bett und sehen durch das Fenster etwas von der Landschaft draußen.

Der Spiegel steckt in einem Holzrahmen, der mit zehn kleinen runden Medaillons mit gemalten Stationen aus der Passion Christi geschmückt ist.

Links neben dem Spiegel hängt ein Rosenkranz aus Glas- oder Bernsteinperlen mit grünen Quasten an den Bandenden. Rechts daneben hängt ein Handfeger aus Reisig am Bettpfosten des mit geschnitztem Maßwerk verzierten Holzrückens des Bettes.

Unter dem Spiegel steht eine mit dem gleichen roten Stoff wie das Bett überworfene Bank, unter der zwei Pantoffeln aus rotem Leder stehen.

Auf den gräulichen, bloßen Holzdielen des Fußbodens liegt vor dem Bett ein geometrisch gemusterter Teppich. Die Dielen tragen wesentlich dazu bei, daß das Ambiente des Bildes nüchtern und wenig prunkvoll wirkt.

Daran, daß ich all diese Details auf diesem relativ kleinen Bild von 82 mal 60 cm erkennen kann, merkt man schon, daß es sehr, sehr fein gemalt ist. Man sieht noch die Kratzer auf dem Messingleuchter und die Falten in der zarten Hand der Frau.

Diese trägt ein grünes Kleid, mit großzügigem Faltenwurf und weißem Fellbesatz. Darunter sieht an den Ärmeln ein blaues Unterkleid mit Bündchen aus einem geflochtenen goldenen Band hervor. Im Ausschnitt der Frau sieht man eine goldene Halskette. Als Kopfschmuck trägt sie eine große Haube aus gestärktem weißen Stoff mit einer Spitzenborte.

Neben den auf den Boden fließenden Falten ihres Kleides steht im Bildvordergrund ein kleiner graubrauner, struwweliger Hund. Neben ihm wiederum liegt ein paar Frauen-Holzpantoffeln mit Lederriemchen.

Der Mann trägt einen dunkelvioletten, mit braunem Pelz besetzten Überwurf über seiner ansonsten dunkelblauen Kleidung. Auf dem Kopf trägt er einen fast zu groß aussehenden schwarzen Hut mit breiter Krempe, größer als ein Zylinder. Der feine Stoff der Kleidung und die Pelze tragen wesentlich dazu bei, daß das Paar sehr wohlhabend wirkt.

Bei allen wahrnehmbaren Details wirkt das Bild dennoch sehr einfach und ruhig. Die großen Farbflächen – das Violett des Umhangs des Mannes vor dem grau-braunen, eher dunkel wirkenden Hintergrund des Zimmers und das Grün des Kleides der Frau vor dem roten Bett – dominieren.

Der Teint der beiden Menschen ist auffallend hell. Das Gesicht des hageren Mannes ist schmal und zeigt keinen Haaransatz, vielleicht trägt er eine Glatze unter seinem Hut. Der Blick seiner fast wimpernlosen, halb gesenkten Lider geht schräg nach vorne, aber eigentlich geht er ins Leere, als sei er in sich versunken.

Der ebenfalls halb gesenkte Blick der Frau geht zum Mann oder wenigstens in seine Richtung. Ihr Gesicht hat ebenso wie das des Mannes ein Grübchen im Kinn, wobei ihr spitzes Kinn eher die Rundlichkeit des übrigen Gesichtes betont. Wie beim Mann kann ich ihren ruhigen Blick mit dem fest geschlossenen Mund kaum deuten.

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Filmbild

STATUS: SCHON BESCHRIEBEN

Mail von Ilka:

Liebe Bildbeschreiber,

das hier ist ein Bild von mir aus einem Film, bei dem ich mitgemacht habe. Ich möchte euch bitten, es mir zu beschreiben, ich würde aber auch gern wissen, was würdet ihr denken, um was es in der Szene geht?

Danke!

Standbild aus einem Film

BESCHREIBUNG VON KATRIN:

Liebe Ilka,
keine leichte Aufgabe, dein Filmbild zu beschreiben. Nicht weil nicht klar ist, was zu sehen ist. Sondern weil das, was sofort ins Auge fällt, soviel Fragen aufwirft und Gefühle wachruft,
dass man gar nicht unbedingt was dazu sagen möchte. Und man ahnt, dass, wenn es Antworten gibt, es keine angenehmen sind.
Es ist ein Bild absoluter Verlassenheit. Trostlos und nüchtern. Ohne ästhetische Verfeinerung. Es geht direkt ins Herz.
Zu sehen ist eine Frau. Das ist sofort klar, obwohl noch nicht einmal ihr Kopf im Bild ist. Sie liegt angezogen auf dem Boden eines Badezimmers. Zusammengekauert in dem Winkel zwischen Badewanne und Wand. Wir sehen ihren Rücken und ihren Po, ihre eng an den Körper gezogenen Knie, darüber ihre Ellbogen, darunter ihre Füsse. Der Kopf wird vom Bildrand abgeschnitten. So, wie sie daliegt, frage ich mich, wo ihr Kopf überhaupt hinpasst. So eng ist sie in diesen Winkel gekrochen. Sie trägt einen grau-schwarz gemusterten Wollpullover, eine schwarze Jogginghose und schwarze Socken, die locker an ihren Füssen sitzen. Der Pullover ist am Rücken hochgerutscht, so daß wir den weißen Gummibund von ihrem Slip sehen, auf dem eine rote Schrift zu erahnen ist. Wir können ein Stück ihren nackten Rücken hinauf in den Pullover schauen. Die Wirbelsäule zeichnet sich wie ein feiner Strich ab und der Slip liegt in einer kleinen Welle auf ihren Becken.
Das einzige, was noch im Raum ist, sind zwei rote, zierliche Lederpantoffeln. Sie stehen ein Stück links von der Frau nebeneinander und sehen aus, als wäre eine ganz andere Person eben lässig aus ihnen herausgeschlüpft und dann  verschwunden.
Sonst gibt es nur noch ein Heißwassergerät an der Wand. Wir sehen das Gehäuse und den Regler. Es ist ein Badezimmer mit den üblichen weissen Kacheln, wie sie seit über zwanzig Jahren bei jeder lieblosen Renovierung in Privatwohnungen geklebt werden. Es sind keine privaten Sachen oder irgendwelche Badezimmereinrichtung da, alles ist völlig kahl.
Ganz aussen am Rand ragen Dinge ins Bild, die ich im Kopf ergänzen kann, weil ich weiss, was in so einem Badezimmer drin ist. Ein Waschbecken, ein Klo, die Tür.
Was mich rätseln lässt, ist der leichte Schatten, der in der Mitte des unteren Bildrandes auf den Kachelboden fällt. Steht da jemand im Licht?
Ich kann mir viel dazu vorstellen, und alles ist realistisch und nichts davon ist schön. Es ist ein realistisches Bild, das unsere dunklen Phantasien anregt.
Wir wissen, dass es ein Filmbild ist, also können wir uns eine ganze Geschichte um dieses Bild herum ausdenken. Sie wird mehr oder weniger dem nahe kommen, was ihr in dem Film gespielt habt.
Das ist tröstlich, weil, was immer wir uns vorstellen, zumindest ist es nur Spiel. Diesmal.
Katrin Heidorn

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Ein Spiegel

STATUS: SCHON BESCHRIEBEN

Ein Foto der blinden Malerin und Fotografin Silja Korn

Ein Spiegel in einem geschwungenen Rahmen. Er zeigt eine Küche.

Beschreibung von Ewa Maria Slaska:

In einem wunderschönen Kristallspiegel aus dem 19. Jahrhundert widerspiegelt sich eine schöne altmodische und zugleich ziemlich moderne Küche in einem alten Bauernhaus. Es kann natürlich sein, dass das alles bloß eine gelungene Nachahmung ist, also kein Biedermeierspiegel und kein Kristall, kein altes Bauernhaus, überhaupt kein Bauernhaus, sondern eine Plattenbauten-Wohnung in Marzahn mit lauter Attrappen. Aber auf dem Foto ist es glaubwürdig, authentisch, alt und unheimlich schön.

Die Gegenstände sind schön, die Wirkung des Fotos… unheimlich.

Es ist ein Verwirrungsspiel, in dem schwer zu urteilen ist, was wo platziert ist. Wahrscheinlich ist der Spiegel auf der Hinterwand eines Zimmers angebracht, in dem von der Decke her ein Art-Deco-Leuchter hängt. Die Küche ist im Raum nebenan, verbunden mit der guten Stube mit einer offenen Tür, direkt dem Spiegel gegenüber.

Unter dem Leuchter mit den Rücken zur Küche und mit der Kamera zum Spiegel muss die Fotografin stehen. Wo aber? Sie ist im Spiegel nicht zu sehen. Auch keine Kamera auf dem Stativ mit Selbstauslöser. Nichts nirgendwo. Wolkenheim.

Der Spiegel aus dem Hintergrund von Jan van Eycks "Arnolfini-Hochzeit". Man sieht darin das Brautpaar von hinten.Meistens ist es der Stolz des Künstlers, wenn er sich heimlich via Spiegel ins Bild bringt. Das Berühmteste ist das Spiegelselbstbildnis von Jan van Eyck auf dem Doppelporträt „Eheleute Arnolfini“ (gen. auch „Arnolfinis Hochzeit“) von 1434. Im Spiegel sieht man die Rücken der vorne stehenden porträtierten Eheleute, zwei Hochzeitszeugen und den Maler, wie er vor Staffelei sitzt…

Hier ist es umgekehrt. Spooky! Die Künstlerin hat sich selbst abgeschafft und auch ihr Medium, mit dem sie die Welt anhält. Alles ist nur im Spiegel, nur dies soll wahrgenommen werden. Aber das, was man im Spiegel sieht, ist nicht wirklich. Es ist ein Zerrbild, von links nach rechts gedreht. Eine in sich verwickelte Welt, ein Betrug. Sand in die Augen. Du siehst etwas, was es vielleicht gar nicht gibt. Oder du siehst es nicht, obwohl es da ist. Du kannst nur glauben, dass du etwas siehst. Spiegel ist ein Spiel.

Die Kamera schneidet diesen Spiegel aus, hebt ihn vor der weißen unbedeutenden Wand hervor, als ob der Rahmen des Spiegels zugleich auch Rahmen der ganzen Welt war.

Was also macht die Welt aus? OK, es ist die Küche. Ein Raum mit weißen Balken, Abstellleisten und Holz- bzw. Kachelverkleidung der Wände, die Decke zwischen den Balken türkisgrün gemalt. Aber auch in dieser Küche, die sich im Spiegel widerspiegelt, ist kaum etwas sicher oder fest angehalten. Frontal sieht man eine Küchen-Arbeitsplatte mit eingebautem Waschbecken und Armatur. Sie ist mit weißer gehäkelter Bordüre verziert. Hinter der Armatur sieht man eine weißgekachelte Wand, klassisch auf die Höhe von 4 Kacheln gebaut. Drauf eine moderne Küchenleiste mit einem Set der Edelstahlkochlöffel und Nippes. Darüber weiße Regale für alles Mögliche. Es stehen da irgendwelche kleine und gleich aussehende Emaillendosen, oder sind es Marmeladegläser? Oder was? Davor ein Mobile, lang, weiß. Hängt es da, oder in dem anderen Raum vor dem Spiegel und hier legt es sich nur im Spiegel der Kamera auf die Kachelwand drauf? Nebenan ein Zierlöffel, oder was ist das überhaupt?! Alles verschwimmt, verfließt. Ist unscharf und je länger man schaut, desto unschärfer.

Über den Gläsern steht noch etwas auf der frontalen Abstellfläche, verliert sich in der Dunkelheit, die die ganze rechte Ecke da oben übernimmt. In der Dunkelheit rechtsrum stehen kantig zu uns platziert ein Zierteller und vielleicht zwei kleine Vasen. Überhaupt ist da rechts vor der Armatur alles kantig und eckig, ohne dass man versteht, was es ist. Ein Brotofen? Ein Abzug? In diesem weißem Verschlag eine Nische und drinnen ein Porträt oder nur ein paar Flecken auf der Wand, die wie eine Gesichtsskizze aussehen.

Ich bin mir nie (NIE!) sicher, dass das, was ich sehe, da tatsächlich zu sehen ist. Das ist mein normaler Lebenszustand. Hier vermehrt er sich durch den Spiegel, durch das Foto des Spiegels, durch das Auge der Künstlerin, die es mit der Kamera gar NICHT gesehen hat! Und welche NICHT zu sehen ist.

Alles verschwimmt, verfließt. Es spukt.

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