Gestern fand Siljas Vernissage im „Divan“ in Berlin-Charlottenburg statt, wo ihre Ausstellung mit Bildern aus dem ehemaligen Stasi-Untersuchungsgefängnis noch bis zum 11.10. zu sehen sind. Es war eine sehr gelungene Veranstaltung, bei der es sehr interessante Gespräche über Kunst und Politik gab. Wir werden noch darauf zurückkommen. Hier schon einmal
die Ansprache, die Gilbert Furian für Silja gehalten hat:
Im Laufe der letzten drei Jahrzehnte habe ich viele Hunderte von Besuchern durch das ehemalige Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen geführt. Und das nicht mit dem Tunnelblick des ehemaligen Gefangenen, sondern mit dem auf Genauigkeit geeichten Auge des Historikers, der ein komplexes Bild des Vergangenen vermitteln möchte. Daneben bin ich in Interviews unzählige Male fotografiert worden und habe mich auch gern auf die jeweilige Sehweise der Fotografen eingestellt.
Dass ich an der Arbeit von Silja Korn als Fotomodell teilnehmen durfte, war aber für mich wie der Eintritt in eine phantastische Welt jenseits aller Vergleichbarkeit. Natürlich hat auch sie mich in eine bestimmte Haltung gebeten, hat etwas arrangiert – aber das wich von allem mir bisher Bekannten extrem ab. Trotzdem habe ich, neugierig wie ich bin, mich dem nicht einfach ausgelie-fert, sondern versucht, ganz diszipliniert ihrem „Blick“ auf die Szene zu folgen (Blick hier natürlich in Anführungszeichen).
Das überraschende Ergebnis: Modell und Hintergrund verbanden sich auf eine geradezu magische Weise zu einer Nachricht (ich sage mal in Anlehnung an den Titel der 9. Sinfonie von Antonin Dvorzak:) zur Nachricht aus einer neuen Welt. In diesen Fotos sehe ich jedenfalls nicht den ehemaligen Gefangenen in einer ehemaligen Zelle, sondern in ihnen hat Silja Korn auf paradoxe Weise die Demarkationslinie zwischen Licht und Dunkelheit überschritten und damit deren Gegensatz produktiv überwunden.
Und sie hat das, was ich beim Rundgang durch die Gedenkstätte erzählt habe, intensiv auf sich wirken lassen. Zum Beispiel habe ich von einer jungen Frau berichtet, die sich das Leben nehmen wollte und in die Zellenwand geritzt hatte: Tröstet meine Eltern!
Dazu hat mir Karsten Hein vor einem Jahr geschrieben:
Wie hebt man solch einen Satz auf, vorsichtig, damit er nicht an den Fingern kleben bleibt? Silja hat ihn mit Licht an die Zellen-wand gemalt. Dafür hat sie zum ersten Mal seit 46 Jahren wieder in der Schrift der Sehenden geschrieben.
Was sie mit ihrer Arbeitsweise außerdem geschafft hat: Sie hat mich bestärkt in meiner Art, die Geschichte meiner Gefangen-schaft zu erzählen: eben nicht weinerlich und vorwurfsvoll, sondern aus heutiger Sicht, also wie auf unsichtbaren kleinen Sieger-Rollschuhen.
Dafür möchte ich ihr danken.



