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„Shot in the Dark“: „Track Man“ von Pete Eckert

Dieses Bild wurde im Rahmen einer Ausstellung zur Filmpremiere des Dokumentarfilms „Shot in the Dark“ in der Brotfabrik Berlin gezeigt. Der Text stammt aus dem großartigen Audio Guide zur Ausstellung.

Ein Mann an Bahngleisen in schwarz-weiß

 

Eine Schwarz-Weiß-Fotografie. Ein sonniger Tag. Eine Bahntrasse führt an einem kastenförmigen Backsteinhaus und einer Fabrikanlage vorbei, gesäumt von Telegrafenmasten. Mitten auf den Gleisen steht ein Mann aus hellem Licht. Er trägt einen Hut und Turnschuhe. Den rechten Arm hat er leicht zur Seite ausgestreckt, die Hand wie tastend, seine Linke ruht auf seinem Hüftknochen. Das Gesicht wird von den Lichtlinien nur angedeutet. Arme und Beine sind dünn und knochig, wie ein Skelett. Der Bauch ist durchsichtig. Wie durch ein Fenster erscheinen hinter ihm die Gleise. Sie führen in die Ferne. Ein Selbstporträt von Pete Eckert, es handelt sich um eine Doppelbelichtung.

Copyright: Pete Eckert, Originalmaße: 100 x 100cm

 

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„Shot in the Dark“: “Sword” von Sonia Soberats

Dieses Bild wurde im Rahmen einer Ausstellung zur Filmpremiere des Dokumentarfilms „Shot in the Dark“ in der Brotfabrik Berlin gezeigt. Der Text stammt aus dem großartigen Audio Guide zur Ausstellung.

Eine geisterhaft beleuchtete Frau atakiert eine Lichtquelle mit einem Schwert.

 

In der Körperhaltung einer Fechterin steht eine ältere Frau in der rechten Hälfte des Bildes. In ihrer Rechten hält sie ein Schwert, in ihrer Linken einen rechteckigen Schild, in dem sich wilde Lichtkreise spiegeln. Das angestrahlte Schwert erscheint mehrfach, als würde es geschwungen. Die Frau attackiert einen großen rot-weißen Lichtnebel, der aus wilden Lichtlinien besteht. Er nimmt die ganze linke Bildhälfte ein und leuchtet aus dem schwarzen Hintergrund heraus. Das rote Licht gemahnt an Feuer. Zwischen den strahlenden Lichtlinien sind Schlangen und ein Totenkopf zu erahnen. Bei dem Bild handelt es sich um ein Selbstporträt von Sonia Soberats.

Copyright: Sonia Soberats, 2014, Originalmaße: 100 x 150cm

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Teilnehmer für Fotografische Projektarbeit gesucht

Diese Anfrage erreichte uns über eine Mailingliste. Die Arbeit klingt nach einem spannenden Fotoprojekt. Eine gute Möglichkeit sich über Fotografie auszutauschen. Bei Interesse bitte kommentieren oder an picdesc@gmail.com schreiben und wir stellen den Kontakt her.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Mein Name ist Nora Börding, ich bin 22 Jahre alt und mache momentan eine Ausbildung zur Fotografin am Lette-Verein in Berlin. Im Laufe dieser Ausbildung steht es uns als Schülern frei, pro Semester eine fotografische Arbeit anzufertigen, in der wir uns mit einem Thema unserer Wahl beschäftigen können. Da ich schon immer eine Faszination gegenüber Blinden empfunden habe und zutiefst beeindruckt bin, wie diese ihren Alltag organisiert bekommen, würde ich mich sehr gerne mit diesem Thema auseinandersetzen. Am liebsten würde ich mich fotografisch mit dem Alltag einer Jugendlichen auseinandersetzen, da ich glaube, dass die engste Bindung entstehen kann, wenn man sich im selben Lebensabschnitt befindet. Es ist mir sehr wichtig, das Leben als Blinder nachvollziehen zu können.

Um die Situation besser zu verstehen, habe ich bereits einen Selbstversuch gemacht und bin für 2 h blind mit Hilfe eines Freundes durch Berlin gefahren. Sollte es mir ermöglicht werden, mein Projekt durchzuführen, würde ich gerne für 2 Tage den Selbstversuch wiederholen, um besser nachzuvollziehen, wie es ist, wenn man nichts mehr sieht.

Es ist mir wichtig, die Person und ihr Leben wahrheitsgetreu zu portraitieren. Gerne würde ich auch Ideen der Person in meine Arbeit einfließen lassen – so dass es zu einem gemeinsamen Projekt wird.

Ich denke, dass ich als Kamera eine analoge Kleinbild – oder Mittelformatkamera verwenden werde. Auch ich werde also die Fotos erst sehen können, wenn sie fertig entwickelt sind. Als Endausstellung wird es entweder zu einem Buch oder aber zu gerahmten Prints kommen. Ich habe hierzu noch keine ausgereifte Vorstellung, da sich die Präsentationsform meist erst im Zuge der Arbeit zeigt. Es ist mir wichtig, dass alle Texte und Erklärungen und eventuell Bildbeschreibungen sowohl in Blindenschrift, als auch in normaler Schrift zu lesen sind.

Mit freundlichen Grüßen,

Nora Börding

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Im Blindflug Fotografieren

Füße und Hosenbeine in Bewegung auf Betonboden.

Menschen unterwegs

 

Michaela Hegenbarth arbeitet als Fotografin im Altonaer Museum in Hamburg. Als sie von dem Fotografieworkshop für Blinde im Rahmen der Filmvorführung von „Shot in the Dark“ hörte, wollte sie wissen warum und wie blinde fotografieren. Und welchen Sinn es hat, wenn man das Foto danach nicht sehen kann. Also versuchte sie sich mit Verdunklungsbrille im blind Fotografieren.

Ich habe während des Workshops gemerkt wie schwierig es ist,  nur mit den Ohren zu fotografieren, oder auf Licht und Schatten zu achten mit der Verdunklungsbrille.

Einen Kontakt aufzubauen war nicht so leicht, da ich bemerkte wie sensibel Nichtsehende sind, ich war doch etwas unsicher, da der Blickkontakt fehlte. An Kontaktschwierigkeiten meinerseits liegt es nicht, ich gehe ohne Scheu auf Menschen zu.

 

 

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Das Bild und seine Konstruktionen von Gerald Pirner

Lightpainting als Malerei Erblindeter

Nachbetrachtungen eines Erblindeten zu einem Workshop bei der blinden Fotografin Sonja Soberats (New York) und der sehenden Fotografin Mila Teshaieva (Berlin) im Rahmen der Premiere des Films Shot in the Dark in der Brotfabrik in Berlin

Dass am Anfang das Wort war, wie wir im Johannesevangelium lesen, trifft auf das Bild nicht nur insofern zu, als sowohl seine visuelle Erscheinung als auch sein Aufkommen als inneres Bild  nicht ohne das Wort kommunizierbar wäre, dass es für die Abbildung, Beschreibung und Reproduktion oder für die Darstellung von welchen Gegenständen, Wesen oder Vorkommnissen auch immer grundlegend ist. Verschärft ließe sich sagen, dass das Ineinander von Wort und Bild das entscheidende Moment menschlichen Sehens ist, dass und noch weiter zugespitzt gesagt, ohne Wort menschliches Sehen gar nicht möglich wäre.

Der folgende Essay sucht den Berührungspunkten von visuellen Bildern und inneren Bildern von Erblindeten nachzuspüren, sucht dies zu einem Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit Lightpainting als Ausdrucksweise von Bildern von Erblindeten zu machen, sucht der Konstruktion des Bildes als Grundlegung blinder Bilddarstellungen nachzugehen: das blinde Bild als von Erblindeten produziertes Bild, das in der Beschreibung durch Sehende zu einem Portrait des erblindeten Sehens wird, zur Bildwerdung erblindeter Imagination.

Aber vielleicht sollte man in Analogie zum Johannesevangelium sagen: Am Anfang war die Berührung, und die Berührung wurde Fleisch. In der Erblindung kommen Berühren und Berührtwerden so zueinander, dass kein visuelles Bild sich mehr scheidend zwischen sie schieben kann.

Einzig die Erinnerung an das Bild ist es, die das Bild der Erblindeten mit Eindrücken anderer Sinne verbindet, das Bild, das vom Wort aufgerufen wird wie seine Beglaubigung. Allein durch ihre Körper sehen die Erblindeten, allein in ihrem Fleisch ist die Komplexität ihrer Bilder angelegt, allein ihr Körpergedächtnis lässt es sie wieder erinnern, indem es sie mit anderen Bildern verknüpft, es von anderen Bildern überlagern lässt, es von ihnen aufladen lässt, es unaufgerufen immer wieder auferstehen lässt: Aktiv und Passiv stürzen in diesen bildlosen Momenten in Zeitlupe ineinander und alle Fasern der Bewegung verschweißen miteinander.

So müssen die Erblindeten sich und ihre Wahrnehmung als Auseinandersetzung zwischen Sprache und Körper empfinden, zwischen dem, was die Sprache als existierende Wirklichkeit behauptet und dem, was das Körpergedächtnis der Erblindeten dagegen erinnert, dem begriffsgetragenen Bild in ihrer Empfindung widersprechend, ein Einspruch also gegen das vermeintlich Erfasste und seinem Ausdruck: ein „und doch ist es zu allererst auch immer ganz anders“. Dieser Einspruch des erblindeten Körpers ist nicht aufhebbar, das Nein des Bildes im Körper gegen die nachgezeichneten Bilder der Sprache lässt sich nicht tilgen, genauso wenig sind beide Formen des Ausdrucks in Deckungsgleichheit zu bringen, niemals passen sie auf- oder übereinander. Tiefer als Blinde erfahren sich Erblindete als Zerrissenheit.  Aber vielleicht liegt in diesem Riss zwischen dem inneren Bild der Erblindeten und ihrer sprachlichen Ausdrucksfähigkeit ja gerade ein Potential, eine Spannung, die ästhetisch ihren Ausdruck in noch ganz anderen Bildern und in einer an ihnen orientierten Sprache finden kann, einer Sprache des leibhaft erfahrenen Risses im Bild der Wirklichkeit.

Vermittlerin dieser Verkrüppelung, dieser Versehrtheit, dieses Antagonismus  ist die Berührung und sie ist es in Kommunikation mit dem inneren Bild der Erblindeten, das auch die Haut in der Berührung aufkommen lässt, das Wort und Begriff stützen, dem die Haut zugleich aber in ihrer Berührung sofort auch widerspricht, da das Berührte in der Berührung ohne Bild immer nur Fragment ist.

Nähern wir uns aber einem Medium an, das den Ausdruck, die Darstellung  innerer Bilder von Erblindeten ermöglichen könnte und damit vielleicht auch die Darstellung des inneren Antagonismus der Erblindeten: das sogenannte Lightpainting.

Zunächst ist der Begriff des Lightpainting mehr als nur eine Metapher, es wird berechtigter Weise als „Lichtmalerei“ bezeichnet, als das Erstellen eines Bildes aus Licht ohne weitere stoffliche Farbzugaben. Gemalt wiederum wird nicht mit dem Pinsel oder der Spachtel, gemalt wird mit einem „Produzenten“ von Licht, einer Lichtquelle,  einer Taschenlampe, einem Flashlight, einer Maclight. Daher ist Lightpainting vielleicht gar nicht so weit von der Lichtkunst, etwa eines Dan Flavin, eines James Durrell entfernt, die in Bestrahlungen und Ausstrahlungen mit farbigen Neonröhren Gegenstände, Räume und Architekturen in eine magische Andersartigkeit des Wirklichen verwandeln, die der erblindete Autor nur aus Beschreibungen kennt. Für ihn, den Erblindeten, für den in seinem Tasten sich nichts freilich an der Konsistenz  oder der Materialität des beleuchteten Gegenstandes ändert, für den in der Beschreibung des Gegenstandes sich das imaginierte Bild des Gegenstandes aber geradezu fundamental ändert, trennt sich der Gegenstand von dem, was ihn vermeintlich zusammenhält, seine Haut, seine Oberfläche, das, was ihn bislang bestimmte, von seiner Materialität, die ihm sein Tastsinn fühlen lässt, die ihn die Spuren der Form nachspüren lässt.

Nehmen wir nun die Farbe aus dem Licht, bleibt Helligkeit und Dunkel übrig, bleibt stärkere und geringere Intensität des Lichts übrig, erhält der Gegenstand sich als der ursprüngliche Gegenstand wieder zurück, gewinnt bei der künstlichen Beleuchtung aus der Nähe im intensivierten Spiel von Licht und Schatten eine Betonung seiner Plastizität. Das „aufgetragene“ Licht erscheint, und noch ganz anders als das vermeintlich natürlich beleuchtende Licht, als Berührung, die unter ihrem Berühren den Gegenstand zu seiner plastischen Dreidimensionalität überhaupt erst führt.

Im Lightpainting trennt sich das Licht vom beleuchteten Gegenstand, von der beleuchteten Figur und kommt ihr ganz real in der Beleuchtung erneut entgegen. Allein diese Trennung des Lichtes von Figur und Welt ermöglicht es den Erblindeten, das Licht zurückzugewinnen, es handhabbar zu machen, es für die blinde Erstellung von Bildern zu nutzen.

nahezu dunkle szene aus dem workshop

 

Was aber wird da tatsächlich sichtbar, was bringt die Fotografie der Erblindeten hervor, wenn nicht das Sehen selbst, eine Darstellung des Sehens, eben nicht das Sehen von Dingen oder Welt, sondern das Sehen, dem jedes Objekt entzogen wurde, das sich selbst zum Betrachtungsobjekt wird, das einen Raum gefunden hat, sich beim Sehen zuzusehen. Das aufgemalte Licht öffnet einen Raum zwischen Bild und Abgebildetem, nicht etwas wie eine Figur, eine Person wird wiedererkannt: in diesem Raum spiegelt sich das Erkennen mit sich selbst.

Das in der Langzeitbelichtung erscheinende Licht hat in der Imagination des Erblindeten  etwas von einem Wiedergänger an sich, ist wie ein nach innen verlegter Schatten, der das Wesen der Figur aus sich hinaustreibt, um für immer hinter ihm zu bleiben, sein Horizont zu werden, sein eigentlicher Grund.

Aber zurück zum Lightpainting. Ein verdunkelter Raum sperrt das Licht aus, macht das Licht kontrollierbar lässt alle Bewegungen der jetzt kontrolliert auftretenden Lichtspuren von einer auf Langzeitbelichtung eingestellten Kamera aufzeichnen. Das Licht verliert so alle Naturhaftigkeit, alle Sichtbarkeit der Welt muss hergestellt werden und ist für den Erblindeten aus seinem Gedächtnis heraus erstellbar. Der ganze Akt hat aber auch etwas von einer Skizze, werden doch hauptsächlich Konturen nachgezeichnet, werden mehr oder minder intensiv belichtet oder ausgeleuchtet. Im kontrolliert ausgeleuchteten Raum entsteht ein Raum der Dokumentation der Bewegung des Lichts. Wird das Bild zum Protokoll dieser Bewegung.

Ein weiterer Faktor, der hier auftritt ist die Erinnerung an Bilder, an Gesehenes, das im Kopf der Erblindeten erscheint, dem sie als Szenen einen künstlichen Raum geben, in welchem sie zu realen Bildern werden können. Ein „Theater des Lichts“, so Frank Amann über das Werk von Sonja Soberats.

Ist die Anwesenheit des Wortes die Erinnerung an die Abwesenheit einer Gestalt oder eines Dinges, erfüllt das Bild die Berührung, gibt erfahrener Sinnlichkeit eine Gestalt, die sich von der sogenannten Wirklichkeit löst und selbstständig als eigene Realität weiterexistiert. Das Wort wird so zu einer vielschichtigen Ebene, in der die unterschiedlichsten Wirklichkeiten in und übereinander liegen. Der Versuch dem Wort eine Ausdrucksform der in ihm zusammenkommenden Wirklichkeiten zu geben, die vorsichtig genug ist, diese nebeneinander stehen zu lassen, ist die Poesie als Annäherung an die Vielschichtigkeit der Welt und des Bildes als dessen visueller Ausdruck.

Das Bild des Erblindeten in seinem sichtbaren Ausdruck ist der Riss hinein in die Welt, deren Verletzung sich mit immer mehr Bildern vernarben muss, nicht um die Unversehrtheit sich vorzugaukeln, eher genau andersherum: um all den Wirklichkeiten von Verletzung  einen Halt zu geben, den Schmerz und immer wieder den selben Schmerz ausdifferenziert spürbar zu machen, ihn zu erinnern, den Schmerz zu erinnern.

In der Art, wie die Erblindeten die Flashlights führen bestimmen sie die Intensität der Ausleuchtung, verstärken die Helligkeit in der Wiederholung oder nehmen im schnellen Überstreichen die Stärke: je länger belichtet wird, desto heller die jeweilige Stelle, je kürzer desto dunkler. Das Bild der Erblindeten ist dem Schnappschuss diametral entgegengesetzt, Belichtungszeiten von 10 bis 15 Minuten bringen eben geradezu Gemälde hervor, deren Malmittel nur noch das Licht selbst ist.

Der Kern der blinden Bildproduktion ist aber die Inszenierung, ist das Konzept: die Fotografie der Erblindeten ist eine Art von Konzeptkunst, die von der bildlichen Umsetzung des Konzeptes ausgeht.

Was ist das blinde Bild anderes als eine heilende Haut, die sich über den Schmerz legt, indem es ihm eben im Bild darstellt, indem es hilft, ihn und seine Wunde zu vernarben.

Das Bild des Erblindeten, gesehen von Sehenden wird Erzählung, die es vor seiner Bildwerdung in dieser Gestalt nicht besaß. In der Erzählung der Sehenden, in ihrer Beschreibung verändert sich das Bild der Erblindeten, reichert sich zugleich an, wird zu einer Sprach-Bewegung, die über die Wunde hinwegführt. Erst als Sprachgewordenheit wird das Bild zum Um-Gehen einer Bewegung, die in ihrer Mitte die Wunde behält, von der sie niemals loskommt. Andererseits kann diese Wunde und ihre Narbe zum Kraftwerk werden, um noch über ganz andere Verletzungen hinwegzuführen.

Ist das Bild der Erblindeten das Konzept zur ästhetischen Verarbeitung der Blindheit, könnte, in die andere Richtung gedacht, das Bild ganz allgemein als eine Art Ursublimierung gesehen werden, die sich über all die Verletzungen, all die Ursachen für Verzweiflung legt, die ein „Und-Doch- Weiter“ in Gestalt der Ästhetik, in Gestalt von Kunst hervorbringt. Das Bild musste erschaffen werden, damit der Mensch wegsehen konnte, damit er im Sehen auch erblinden konnte.

Das Lightpainting entfernt den Sehenden die Augen, indem es ihre natürlich sichtbaren Objekte entfernt, das eigentlich Sichtbare zum verschwinden bringt. Aber Lightpainting gibt den Sehenden die Augen auch wieder zurück, indem es ihre Objekte wiedererschafft. Die wiedergewonnene Sicht der Sehenden aber hat sich verändert, sie ist karger geworden, karger der Blick auf die bekannten Dinge und Menschen, darin führt sie aber auch einen neuen Reichtum ein. Wie eine Berührung umgibt das Licht im Lightpainting sein Gesehenes, umhegt es gleichsam für das Auge der Sehenden. Indem das Licht das zu Sehende dem Auge geradezu zärtlich hingibt, entreißt es dieses der Gefräßigkeit des Auges, lässt das zu Sehende in einer Weise nackt erscheinen, die noch hinter die Nacktheit der Körper zurückgeht.

Zugleich aber stellt sich im Lightpainting der Riss der Erblindeten dar, der Bruch zwischen Berührung und Bild, der Riss hinein ins Bild, den die Berührung verursacht. Das blinde Bild entsteht unter Reflektion von Sehenden, bricht sich in der Beschreibung durch sie, ist also vom ersten Moment an in einem dialogischen Verhältnis zwischen Künstler*innen und Betrachter*innen.  Ein Teil der Produktion des Bildes ist vom ersten Moment an offengelegt, überprüft sich in seiner Ausführung. Das Bild der erblindeten Künstler*innen ist ganz offen auch ein Produkt der sehenden Beobachter*innen, folgt darin also einer Ästhetik, die anerkennt, dass nur in den Körpern der Betrachter*innen sich das jeweilige Werk entfaltet, zu sich kommt, indem es von  Betrachter*innen erneut hervorgebracht wird.

Aber was wird da eigentlich hervorgebracht, ist es nicht erneut die Zerbrochenheit  einer Wirklichkeit, die für die Erblindeten wie die Verkrüppelung einer Welt wirken muss.

Von daher wäre das Lightpainting die Darstellung eines Risses, eines Einschnittes hinein in die Welt, genauer, in das Bild der Welt, die Negation der Welt, die Negation des Bildes der Welt, die im Lightpainting der Erblindeten in den verschiedensten Variationen ihre Darstellung findet, durchgespielt wird: im Lightpainting erfahren Erblindete wie Sehende die Infragestellung „des Ganzen“, indem sein Medium, das Bild, in der Berührung infrage gestellt wird.

Während das Auges selbst immer wieder als gefräßig, als einverleibend gesehen wird, nimmt das Bild der Erblindeten im Lightpainting in seiner Konzeption und Produktion eine Beziehung zu Wesen und Dingen, zu Welt überhaupt ein, die es herausführt aus der zerstörerischen Gefräßigkeit, die das Licht zu einem Medium macht, das alles, was es umgibt in seine Berührung einbettet, die es wegführt von der bloßen grellen Überflutung des Ausstrahlens, die es als Berührung die Welt aufbereiten lässt, die es das Dargestellte in gewisser Weise hervorbringen lässt, es modelliert und dabei abschirmt, ja beschützt.

Ja, am Anfang des menschlichen Lebens ist die Berührung. Lightpainting ist eine Berührung durch Licht, die auffordert zum Ursprung der Welterfahrung zurückzugehen, zur Berührung, und dem was sich ihr hingibt. Lightpainting macht die Berührung sichtbar, und stellt Sehen in seinen ursprünglich taktilen Kontext zurück.

Lightpainting ist eine Berührung von Mensch und Welt in Licht, unter der beides verschwindet, um als seine jeweilige Spur unter Licht wiederzukommen.

Sonia Soberats befühlt das Gesicht eines Models

(c) Andi Weiland | http://www.andiweiland.de

Dieser Text erschien zuerst auf Gerald Pirners Blog Text zu Kunst

Fotos: Workshop Lightpainting Berlin 2017 © Andi Weiland; http://www.andiweiland.de

 

 

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„Shot in the Dark“ – Ein Film mit blinden Fotografen

Pünktlich zur Filmpremiere des Dokumentarfilms „Shot in the Darkhaben wir mit Regisseur Frank Amann darüber gesprochen, wie aus einer spontanen Begegnung mit blinden und sehbehinderten Fotografen und der Faszination mit ihren Werken ein Film über die Werke dreier starker Persönlichkeiten entstand. Aus diesem Gespräch und selbst recherchierten Informationen entstand folgendes, fiktives Interview.

Der Film prämiert am 19. 1. in Berlin und am 21. 1. in Hamburg. Zwischen 13. und 24. Januar finden weitere Veranstaltungen und Workshops rund um den Film und die Protagonisten statt.  Untertitel und Audiodeskription sind über die App Greta & Starks verfügbar.

Wie bist du auf die Idee gekommen, einen Dokumentarfilm über blinde Fotografen zu drehen?

„Shot in the Dark“ ist meine erste Regiearbeit. ich bin eigentlich Kameramann. Vor ungefähr 6 Jahren habe ich in Spanien an einem Coming of Age Spielfilm über ein überbehütetes, blindes Mädchen gearbeitet. Der Film begleitete die Protagonistin auf der Suche nach ihrem Platz in einer von visuellen Eindrücken geprägten Teenagerwelt. Um ihre Sichtweise besser in Filmbildern darstellen zu können, habe ich mich gefragt, wie dieses Mädchen ihre Umwelt erlebt.

Ich recherchierte ein bisschen und stieß auf den blinden Fotografen Evgen Bavcar, dessen Bilder allerdings eher einer surrealistischen und symbolistischen Tradition verbunden sind und für unsere Filmrecherche deshalb nur bedingt geeignet waren. Dann stieß ich auf den Fotokatalog der Wanderausstellung „Sight Unseen“, die ich später auch live besuchte. Einige dieser Bilder blieben mir im Gedächtnis und als ich für ein ganz anderes Projekt in den USA war, beschloss ich spontan zwei der in „Sight Unseen“ vertretenen Fotografen Bruce Hall und Pete Eckert anzurufen, ob sie sich mit mir treffen würden. Damals hatte ich noch keine konkrete Filmidee. Ich war neugierig und wollte die Fotografen hinter den Bildern kennen lernen. Aus einer kurzen Unterhaltung wurden mehrere Stunden und wir entdeckten, dass wir viele Ansichten über Kunst und Fotografie teilten. Von der Idee zum fertigen Film über Pete Eckert, Bruce Hall und Sonia Soberats war es allerdings ein langer Weg.

Was war dir bei der Verfilmung deiner Idee wichtig?

Ich wollte keinen Film über sondern mit blinden Fotografen machen. Ich habe den HBO Kurzfilm „Dark Light The Art of Blind Photographers“ gesehen, in dem Bruce und Pete auch vorkommen, aber der hat versucht analytisch und didaktisch zu erklären wie blinde Fotografen arbeiten. Sehende Experten wurden gefragt, wie das funktioniert und das Ganze wirkte wie Forscher, die einen Ameisenhaufen inspizieren.

Mein Film ist eher visuell und beobachtend und begleitet die Protagonisten bei der Arbeit und lässt sie selbst und ihre Familien und Freunde zu Wort kommen. Der Zuschauer soll sich selbst anhand des Gesehenen und Gehörten eine Meinung bilden ohne zu sehr von Erklärungen und Kommentaren meinerseits gelenkt zu werden.

Bruce Hall

Bruce zum Beispiel fotografiert hauptsächlich unter Wasser und seine beiden autistischen Zwillingssöhne, über die er gemeinsam mit seiner Frau das Buch „Immersed: Our Experience with Autism“ veröffentlicht hat. Da er die Gesichtsausdrücke seiner Söhne schwer sehen kann, begegnet er ihnen in vergrößerten Bildern auf eine neue Art. Die hauptsächlich nonverbale Kommunikation mit seinen Kindern ist wichtig, aber nicht Mittelpunkt des Filmabschnitts über Bruce. Was er sieht, setzt er sich seit frühster Kindheit mit Vergrößerungsgeräten und heutzutage mit Bildschirmen zusammen. Bruce sagt von sich selbst, er sieht zweimal: zuerst einen Eindruck oder Umriss beim Aufnehmen und später auf dem fertigen Bild mehr Einzelheiten.

Außerdem wollte ich, dass die Protagonisten den fertigen Film auch genießen können. Daher die Audiodeskription über Greta. Ich habe auch viel mit Klangeffekten und Tonschichten gearbeitet. In Kinovorführungen wird sich der Sound räumlich auf verschiedene Boxen verteilen. Da sich die Töne im Raum bewegen, entsteht ein räumlicher Klangeffekt.

Was hat dich an den Arbeiten dieser blinden Fotografen fasziniert und was unterscheidet sie von den Werken sehender Fotografen?

Heutzutage sind wir einer tagtäglichen Bilderflut ausgesetzt. Damit ein Bild unsere Aufmerksamkeit für mehr als ein paar Sekunden hält und uns anschließend im Gedächtnis bleibt, muss es etwas Besonderes zeigen oder eine ungewöhnliche Perspektive oder Technik haben. Vielleicht haben blinde Fotografen in dieser Hinsicht sogar einen Vorteil, da ihnen oft der Vergleich zu anderen Bildern fehlt. Wenn man gar nichts oder wenig sieht, verliert man sich weniger im Detail, wodurch Hell –Dunkelkontraste und abstrakte Formen besser zur Geltung kommen. Ich selbst kneife auch manchmal die Augen zusammen um das große Ganze besser zu sehen. Das bedeutet aber nicht, dass die Bilder von Blinden alle ähnlich sind, im Gegenteil Motive und Techniken sind so unterschiedlich wie ihre Fotografen und deren Sehreste und Interessen.

Arbeiten blinde Fotografen anders als Sehende?

Jeder Künstler, ob sehend oder nicht hat, seine eigene Arbeitsweise. Die meisten blinden Fotografen arbeiten konzeptionell. Während sehende oft zufällig etwas Interessantes sehen und es fotografieren, entwickeln blinde die Bildkomposition zuerst vor ihrem inneren Auge und versuchen sie dann umzusetzen.

Pete Eckert

Vor seiner allmählichen Erblindung durch eine Erbkrankheit war Pete Schreiner und Kunststudent, zuletzt studierte er Architektur, und im Prozess seiner Erblindung Wirtschaft. Er kam erst später von Skulpturen über Holzschnitte zur Fotografie. Er arbeitet auch heute noch mit einer analogen Mittelformatkamera, da diese ihm mehr Unabhängigkeit ermöglicht. Die Mechanik dieser alten Kameras ist ertastbar und Markierungspunkte am Objektiv und ein Lichtmesser ohne Glasverkleidung ermöglichen das selbstständige Einstellen. Abgesehen von der Auswahl für großformatige Abzüge verzichtet Pete auf sehende Hilfe, da für ihn nur ein selbstständig entworfenes und fotografiertes Bild ein authentisches Bild aus der Welt eines Blinden ist. Trotzdem ist ihm das Feedback der Betrachter wichtig, da kein Künstler auf Dauer ohne positive Rückmeldung motiviert bleibt.

Sonia Soberats

Als junge Einwanderermutter verlor Sonia kurz nacheinander ihre beiden Kinder und ihr Augenlicht. Obwohl sie früher nicht fotografierte, fand sie später neue Lebenserfüllung im Light Painting, einer Fotografietechnik bei der in völliger Dunkelheit nur das Bildmotiv mit verschiedenen Lichtquellen angestrahlt wird, wodurch es im fertigen Bild nahezu geisterhaft zur Geltung kommt. Sonia gewinnt ihre Ideen aus Erlebnissen, Gerüchen und fühlbaren Texturen. Ihre Modelle sind oft Familienmitglieder und Freunde mit denen sie sich während des Fotoshootings unterhält. Bei Umsetzung und Auswahl hilft ihr ein sehender Assistent. Die Belichtungsdauer beträgt mehrere Minuten. Die Ideen sind ihre, für sie ist die Assistenz nur technische Hilfe.

Light Painting Workshops für Blinde und Sehende

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe rund um den Film finden in Berlin Künstler Gespräche und am 14. und 15. Januar ein Light Painting workshop für blinde und sehende Teilnehmer statt. Geleitet wird der Workshop von Sonia Soberats und Mila Teshaieva, einer sehenden Fotografin, die ähnliche Techniken benutzt.

Kontakt: kontakt@shotinthedark-film.com

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