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„Shot in the Dark“: „Ben“ von Sonia Soberats

Dieses Bild wurde im Rahmen einer Ausstellung zur Filmpremiere des Dokumentarfilms „Shot in the Dark“ in der Brotfabrik Berlin gezeigt. Der Text stammt aus dem großartigen Audio Guide zur Ausstellung.

Ein Mann mit geschlossenen Augen betastet sein Gesicht

Ein Schwarz-Weiß-Porträt. Das Gesicht eines dunkelhäutigen Mannes mit hell glänzendem Teint und geschlossenen Augen. Seine Fingerspitzen liegen auf seinen Wangen unterhalb der Augen, als ertastete er vorsichtig sein Gesicht. An seiner linken Hand trägt er einen Ring. Sein Kopf ruht auf federgleichen feinen Lichtspuren, ein Kissen aus Licht.

Copyright: Sonia Soberats 2004 Originalmaße 60 x 47 cm

 

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„Shot in the Dark“ „Quince“ von Sonia Soberats

Dieses Bild wurde im Rahmen einer Ausstellung zur Filmpremiere des Dokumentarfilms „Shot in the Dark“ in der Brotfabrik Berlin gezeigt. Der Text stammt aus dem großartigen Audio Guide zur Ausstellung.

Junge Frau in einem ausladenden, erleuchtetem Ballkleid

 

Das Foto einer jungen Frau im Brautkleid. Sie hat ihre Hände übereinander gelegt im Schoß, auf einem sehr weit ausladenden Rock aus Chiffon. Das Oberteil ist enganliegend und mit Goldsteinchen besetzt. Weiße Linien aus Licht erstrecken sich über ihren Körper. Ihr Gesicht ist nur zu erahnen, hat aber etwas Trauriges an sich. Sie trägt einen glitzernden Kopfschmuck hinter dem Ohr. Sie steht im Freien, auf groben Steinplatten, hinter ihr ist nächtlich-schemenhaft ein kaum erleuchtetes Haus zu erahnen. Unter dem Saum ihres Rockes sind sternenartige Lichter verborgen, die den Rock von innen weiß und blau beleuchten. Hell erstrahlen diese Lichter in der schwarzen Nacht

Copyright: Sonia Soberats, 2015 Originalgröße: 100-66 cm

 

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Die Wundertüte der Fotografie: Interview mit Nina Kock

Gestapelte Tassen und aufrecht stehendes Besteck vor schwarzem Hintergrund

Tassentanz

Erzähle uns etwas über dich

Ich bin Nina, leidenschaftliche Bloggerin „gesunde360grad.de„, Gesundheitsmanagerin, Referentin für medizinische Themen, Physiotherapeutin und Sport- und Gymnastiklehrerin. Nicht nur beruflich mag ich es gerne bunt gemixt. Auch in meiner Freizeit entdecke ich gerne Entspannungsformen, gesunde Lebensmittel, diverse Sportarten sowie nahe und ferne Länder und Kulturen. Außerdem liebe ich das Schreiben, Filmen und Fotografieren! Auf meinem Blog kann ich all meine Interessen und Leidenschaften kombinieren und in Interaktion mit Lesern und anderen Bloggern kommen.

Wie bist du auf die Idee gekommen, bei einem Fotografieworkshop für blinde und sehende mitzumachen?

Ich bin durch Odile, eine Freundin, die an dem Tag auch Dozentin war, auf den Workshop gestoßen. Sie hat mir einen Link dazu geschickt und ich war zunächst verwundert, dass nicht sehende Menschen Interesse an der Fotografie haben. Genau der Aspekt „das Ungewohnte“ hat mich sehr interessiert. Ich wollte mehr erfahren, die Umsetzung und Idee hinter dem Projekt kennenlernen. Spannend fand ich auch die Idee, einmal in die Welt der nicht sehenden einzutauchen und mit verdunkelten Brillen oder im Dunkeln zu fotografieren. Somit konnte ich mir, auch wenn nur annähernd, ein Gefühl davon verschaffen, wie vielleicht das Fotografieren für nicht sehende ist. Ich erinnerte mich an die Ausstellung „Dialog im Dunkeln“ in Hamburg. Wie auf einmal andere Sinne geschärft werden, wenn es ganz dunkel ist. Ich fand es spannend in einem Team mit sehenden und nicht sehenden Menschen zu arbeiten.

Wie verlief der Workshop?

Wir haben uns in zwei große Gruppen aufgeteilt. Ich war in Odiles Gruppe. Unsere erste Aufgabe war es, uns einen Partner zu suchen und zu zweit durch die Hamburger Zentralbibliothek zu gehen um zu fotografieren. Wenn beide Partner sehend sind, sollte einer eine verdunkelte Brille aufsetzen. Ich unterstützte Thomas bei der Fotografie während er die Brille trug. Ich ließ ihm so viel wie möglich Freiraum und versuchte rein mit meinen Worten zu unterstützen. Da ging es in erster Linie um die Kameraeinstellungen, aber auch um die Raumorientierung. Gerne hätte ich die Rollen gewechselt, jedoch war die Zeit begrenzt.

Wie war es einem Fotografen mit verbundenen Augen zu assistieren?

Thomas ist sehend, er hatte eine verdunkelte Brille auf. Ich fand es zunächst nicht ganz einfach ihm Unterstützung rein durch Worte zu geben, gewöhnte mich aber daran. Es war eine spannende Herausforderung für mich. Ich wollte ihm die größte Freiheit lassen und habe z.B. auf taktile Reize verzichtet.

Und wie einfach oder schwer viel es dir die entstandenen Bilder anschließend zu beschreiben?

Bei der Bildbesprechung merkte ich auch, dass ich bei der Beschreibung meine Gestik stark einbinde. Auch hier bestand eine Herausforderung rein durch meine Worte den nicht sehenden Personen die Fotos zu beschreiben.

Wie lief der Light Painting Teil des Workshops ab?

Wir gingen in einen verdunkelten Raum. Viele stellten ihre Stative auf, um im Dunkeln die Belichtungszeit lang und das Foto verwacklungsfrei zu bekommen. Mein Stativ hatte ich nicht dabei. Ich musste somit ein wenig improvisieren und stapelte einige Holzboxen. Zunächst setzte sich Thomas in die Mitte und verschiedene Personen leuchteten mit Taschenlampen um ihn herum.

Danach bauten Odile und ich eine Kulisse auf. Wir nahmen Dinge, die sich in dem Raum befanden. Mir bringt es riesigen Spaß so ein kleines Set aufzubauen. Das mache ich speziell im Bereich Food-Fotografie für meinen Blog regelmäßig. Dabei war mir wichtig, dass die Gegenstände in einer eher ungewöhnlichen Aufstellung positioniert werden. Odile nahm die Tassen aus dem Regal und stapelte sie. Ich klemmte die Wäscheklammern an die Untertassen und legte einen knallroten Teelöffel in die oberste Tasse. Kunterbunte Buntstifte steckte ich in unterschiedlichste Gläser. Das Set war in einigen Sekunden aufgebaut. Odile bewegte das Licht der Taschenlampe um das Set. Das Bild entstand als sie die Taschenlampe vertikal herauf und herunter führte.

Bist du zufrieden mit euren Bildern?

Ich bin sehr zufrieden mit den Fotos. Von vier Fotos bin ich begeistert, u.a. von diesem Foto. Meine Aussage über dieses Bild: „Das Leben ist nicht vorhersehbar, es ist eine bunte Wundertüte voller Überraschungen“

Ich hatte keine speziellen Erwartungen oder Vorstellungen wie das Foto aussehen wird. Und das ist für mich eher untypisch. Fotografiere ich bspw. Food für meinen Blog, ist es mir besonders wichtig wie alles positioniert ist, da bin ich meist perfektionistisch. Es sollen Unschärfen zu sehen sein und die Farben zusammenpassen. Diesen Anspruch hatte ich nicht. Mir war es schon wichtig, dass Farben und Gegenstände zu sehen sind. Ich ließ mich aber eher überraschen wie die Wirkung im Dunkeln in Verbindung mit dem Lichtstrahl der Taschenlampe ist.

Was hast du für dich vom Workshop mitnehmen können?

Ich habe gelernt, dass es bei der Fotografie auch einmal spannend ist, wenn nicht alles vorhersehbar ist und es auch Spaß bringt, sich überraschen zu lassen. So können wunderschöne und skurrile Fotos mit den wunderschönsten Farben entstehen oder halt auch nicht – so wie das Leben halt auch ist, mal läuft es gut, mal nicht so gut.

Ich möchte auf jeden Fall weitere Experimente im Bereich der Fotografie machen, speziell auch mit Lichteffekten im Dunkeln.

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„Shot in the Dark“: “Sword” von Sonia Soberats

Dieses Bild wurde im Rahmen einer Ausstellung zur Filmpremiere des Dokumentarfilms „Shot in the Dark“ in der Brotfabrik Berlin gezeigt. Der Text stammt aus dem großartigen Audio Guide zur Ausstellung.

Eine geisterhaft beleuchtete Frau atakiert eine Lichtquelle mit einem Schwert.

 

In der Körperhaltung einer Fechterin steht eine ältere Frau in der rechten Hälfte des Bildes. In ihrer Rechten hält sie ein Schwert, in ihrer Linken einen rechteckigen Schild, in dem sich wilde Lichtkreise spiegeln. Das angestrahlte Schwert erscheint mehrfach, als würde es geschwungen. Die Frau attackiert einen großen rot-weißen Lichtnebel, der aus wilden Lichtlinien besteht. Er nimmt die ganze linke Bildhälfte ein und leuchtet aus dem schwarzen Hintergrund heraus. Das rote Licht gemahnt an Feuer. Zwischen den strahlenden Lichtlinien sind Schlangen und ein Totenkopf zu erahnen. Bei dem Bild handelt es sich um ein Selbstporträt von Sonia Soberats.

Copyright: Sonia Soberats, 2014, Originalmaße: 100 x 150cm

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Das Bild und seine Konstruktionen von Gerald Pirner

Lightpainting als Malerei Erblindeter

Nachbetrachtungen eines Erblindeten zu einem Workshop bei der blinden Fotografin Sonja Soberats (New York) und der sehenden Fotografin Mila Teshaieva (Berlin) im Rahmen der Premiere des Films Shot in the Dark in der Brotfabrik in Berlin

Dass am Anfang das Wort war, wie wir im Johannesevangelium lesen, trifft auf das Bild nicht nur insofern zu, als sowohl seine visuelle Erscheinung als auch sein Aufkommen als inneres Bild  nicht ohne das Wort kommunizierbar wäre, dass es für die Abbildung, Beschreibung und Reproduktion oder für die Darstellung von welchen Gegenständen, Wesen oder Vorkommnissen auch immer grundlegend ist. Verschärft ließe sich sagen, dass das Ineinander von Wort und Bild das entscheidende Moment menschlichen Sehens ist, dass und noch weiter zugespitzt gesagt, ohne Wort menschliches Sehen gar nicht möglich wäre.

Der folgende Essay sucht den Berührungspunkten von visuellen Bildern und inneren Bildern von Erblindeten nachzuspüren, sucht dies zu einem Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit Lightpainting als Ausdrucksweise von Bildern von Erblindeten zu machen, sucht der Konstruktion des Bildes als Grundlegung blinder Bilddarstellungen nachzugehen: das blinde Bild als von Erblindeten produziertes Bild, das in der Beschreibung durch Sehende zu einem Portrait des erblindeten Sehens wird, zur Bildwerdung erblindeter Imagination.

Aber vielleicht sollte man in Analogie zum Johannesevangelium sagen: Am Anfang war die Berührung, und die Berührung wurde Fleisch. In der Erblindung kommen Berühren und Berührtwerden so zueinander, dass kein visuelles Bild sich mehr scheidend zwischen sie schieben kann.

Einzig die Erinnerung an das Bild ist es, die das Bild der Erblindeten mit Eindrücken anderer Sinne verbindet, das Bild, das vom Wort aufgerufen wird wie seine Beglaubigung. Allein durch ihre Körper sehen die Erblindeten, allein in ihrem Fleisch ist die Komplexität ihrer Bilder angelegt, allein ihr Körpergedächtnis lässt es sie wieder erinnern, indem es sie mit anderen Bildern verknüpft, es von anderen Bildern überlagern lässt, es von ihnen aufladen lässt, es unaufgerufen immer wieder auferstehen lässt: Aktiv und Passiv stürzen in diesen bildlosen Momenten in Zeitlupe ineinander und alle Fasern der Bewegung verschweißen miteinander.

So müssen die Erblindeten sich und ihre Wahrnehmung als Auseinandersetzung zwischen Sprache und Körper empfinden, zwischen dem, was die Sprache als existierende Wirklichkeit behauptet und dem, was das Körpergedächtnis der Erblindeten dagegen erinnert, dem begriffsgetragenen Bild in ihrer Empfindung widersprechend, ein Einspruch also gegen das vermeintlich Erfasste und seinem Ausdruck: ein „und doch ist es zu allererst auch immer ganz anders“. Dieser Einspruch des erblindeten Körpers ist nicht aufhebbar, das Nein des Bildes im Körper gegen die nachgezeichneten Bilder der Sprache lässt sich nicht tilgen, genauso wenig sind beide Formen des Ausdrucks in Deckungsgleichheit zu bringen, niemals passen sie auf- oder übereinander. Tiefer als Blinde erfahren sich Erblindete als Zerrissenheit.  Aber vielleicht liegt in diesem Riss zwischen dem inneren Bild der Erblindeten und ihrer sprachlichen Ausdrucksfähigkeit ja gerade ein Potential, eine Spannung, die ästhetisch ihren Ausdruck in noch ganz anderen Bildern und in einer an ihnen orientierten Sprache finden kann, einer Sprache des leibhaft erfahrenen Risses im Bild der Wirklichkeit.

Vermittlerin dieser Verkrüppelung, dieser Versehrtheit, dieses Antagonismus  ist die Berührung und sie ist es in Kommunikation mit dem inneren Bild der Erblindeten, das auch die Haut in der Berührung aufkommen lässt, das Wort und Begriff stützen, dem die Haut zugleich aber in ihrer Berührung sofort auch widerspricht, da das Berührte in der Berührung ohne Bild immer nur Fragment ist.

Nähern wir uns aber einem Medium an, das den Ausdruck, die Darstellung  innerer Bilder von Erblindeten ermöglichen könnte und damit vielleicht auch die Darstellung des inneren Antagonismus der Erblindeten: das sogenannte Lightpainting.

Zunächst ist der Begriff des Lightpainting mehr als nur eine Metapher, es wird berechtigter Weise als „Lichtmalerei“ bezeichnet, als das Erstellen eines Bildes aus Licht ohne weitere stoffliche Farbzugaben. Gemalt wiederum wird nicht mit dem Pinsel oder der Spachtel, gemalt wird mit einem „Produzenten“ von Licht, einer Lichtquelle,  einer Taschenlampe, einem Flashlight, einer Maclight. Daher ist Lightpainting vielleicht gar nicht so weit von der Lichtkunst, etwa eines Dan Flavin, eines James Durrell entfernt, die in Bestrahlungen und Ausstrahlungen mit farbigen Neonröhren Gegenstände, Räume und Architekturen in eine magische Andersartigkeit des Wirklichen verwandeln, die der erblindete Autor nur aus Beschreibungen kennt. Für ihn, den Erblindeten, für den in seinem Tasten sich nichts freilich an der Konsistenz  oder der Materialität des beleuchteten Gegenstandes ändert, für den in der Beschreibung des Gegenstandes sich das imaginierte Bild des Gegenstandes aber geradezu fundamental ändert, trennt sich der Gegenstand von dem, was ihn vermeintlich zusammenhält, seine Haut, seine Oberfläche, das, was ihn bislang bestimmte, von seiner Materialität, die ihm sein Tastsinn fühlen lässt, die ihn die Spuren der Form nachspüren lässt.

Nehmen wir nun die Farbe aus dem Licht, bleibt Helligkeit und Dunkel übrig, bleibt stärkere und geringere Intensität des Lichts übrig, erhält der Gegenstand sich als der ursprüngliche Gegenstand wieder zurück, gewinnt bei der künstlichen Beleuchtung aus der Nähe im intensivierten Spiel von Licht und Schatten eine Betonung seiner Plastizität. Das „aufgetragene“ Licht erscheint, und noch ganz anders als das vermeintlich natürlich beleuchtende Licht, als Berührung, die unter ihrem Berühren den Gegenstand zu seiner plastischen Dreidimensionalität überhaupt erst führt.

Im Lightpainting trennt sich das Licht vom beleuchteten Gegenstand, von der beleuchteten Figur und kommt ihr ganz real in der Beleuchtung erneut entgegen. Allein diese Trennung des Lichtes von Figur und Welt ermöglicht es den Erblindeten, das Licht zurückzugewinnen, es handhabbar zu machen, es für die blinde Erstellung von Bildern zu nutzen.

nahezu dunkle szene aus dem workshop

 

Was aber wird da tatsächlich sichtbar, was bringt die Fotografie der Erblindeten hervor, wenn nicht das Sehen selbst, eine Darstellung des Sehens, eben nicht das Sehen von Dingen oder Welt, sondern das Sehen, dem jedes Objekt entzogen wurde, das sich selbst zum Betrachtungsobjekt wird, das einen Raum gefunden hat, sich beim Sehen zuzusehen. Das aufgemalte Licht öffnet einen Raum zwischen Bild und Abgebildetem, nicht etwas wie eine Figur, eine Person wird wiedererkannt: in diesem Raum spiegelt sich das Erkennen mit sich selbst.

Das in der Langzeitbelichtung erscheinende Licht hat in der Imagination des Erblindeten  etwas von einem Wiedergänger an sich, ist wie ein nach innen verlegter Schatten, der das Wesen der Figur aus sich hinaustreibt, um für immer hinter ihm zu bleiben, sein Horizont zu werden, sein eigentlicher Grund.

Aber zurück zum Lightpainting. Ein verdunkelter Raum sperrt das Licht aus, macht das Licht kontrollierbar lässt alle Bewegungen der jetzt kontrolliert auftretenden Lichtspuren von einer auf Langzeitbelichtung eingestellten Kamera aufzeichnen. Das Licht verliert so alle Naturhaftigkeit, alle Sichtbarkeit der Welt muss hergestellt werden und ist für den Erblindeten aus seinem Gedächtnis heraus erstellbar. Der ganze Akt hat aber auch etwas von einer Skizze, werden doch hauptsächlich Konturen nachgezeichnet, werden mehr oder minder intensiv belichtet oder ausgeleuchtet. Im kontrolliert ausgeleuchteten Raum entsteht ein Raum der Dokumentation der Bewegung des Lichts. Wird das Bild zum Protokoll dieser Bewegung.

Ein weiterer Faktor, der hier auftritt ist die Erinnerung an Bilder, an Gesehenes, das im Kopf der Erblindeten erscheint, dem sie als Szenen einen künstlichen Raum geben, in welchem sie zu realen Bildern werden können. Ein „Theater des Lichts“, so Frank Amann über das Werk von Sonja Soberats.

Ist die Anwesenheit des Wortes die Erinnerung an die Abwesenheit einer Gestalt oder eines Dinges, erfüllt das Bild die Berührung, gibt erfahrener Sinnlichkeit eine Gestalt, die sich von der sogenannten Wirklichkeit löst und selbstständig als eigene Realität weiterexistiert. Das Wort wird so zu einer vielschichtigen Ebene, in der die unterschiedlichsten Wirklichkeiten in und übereinander liegen. Der Versuch dem Wort eine Ausdrucksform der in ihm zusammenkommenden Wirklichkeiten zu geben, die vorsichtig genug ist, diese nebeneinander stehen zu lassen, ist die Poesie als Annäherung an die Vielschichtigkeit der Welt und des Bildes als dessen visueller Ausdruck.

Das Bild des Erblindeten in seinem sichtbaren Ausdruck ist der Riss hinein in die Welt, deren Verletzung sich mit immer mehr Bildern vernarben muss, nicht um die Unversehrtheit sich vorzugaukeln, eher genau andersherum: um all den Wirklichkeiten von Verletzung  einen Halt zu geben, den Schmerz und immer wieder den selben Schmerz ausdifferenziert spürbar zu machen, ihn zu erinnern, den Schmerz zu erinnern.

In der Art, wie die Erblindeten die Flashlights führen bestimmen sie die Intensität der Ausleuchtung, verstärken die Helligkeit in der Wiederholung oder nehmen im schnellen Überstreichen die Stärke: je länger belichtet wird, desto heller die jeweilige Stelle, je kürzer desto dunkler. Das Bild der Erblindeten ist dem Schnappschuss diametral entgegengesetzt, Belichtungszeiten von 10 bis 15 Minuten bringen eben geradezu Gemälde hervor, deren Malmittel nur noch das Licht selbst ist.

Der Kern der blinden Bildproduktion ist aber die Inszenierung, ist das Konzept: die Fotografie der Erblindeten ist eine Art von Konzeptkunst, die von der bildlichen Umsetzung des Konzeptes ausgeht.

Was ist das blinde Bild anderes als eine heilende Haut, die sich über den Schmerz legt, indem es ihm eben im Bild darstellt, indem es hilft, ihn und seine Wunde zu vernarben.

Das Bild des Erblindeten, gesehen von Sehenden wird Erzählung, die es vor seiner Bildwerdung in dieser Gestalt nicht besaß. In der Erzählung der Sehenden, in ihrer Beschreibung verändert sich das Bild der Erblindeten, reichert sich zugleich an, wird zu einer Sprach-Bewegung, die über die Wunde hinwegführt. Erst als Sprachgewordenheit wird das Bild zum Um-Gehen einer Bewegung, die in ihrer Mitte die Wunde behält, von der sie niemals loskommt. Andererseits kann diese Wunde und ihre Narbe zum Kraftwerk werden, um noch über ganz andere Verletzungen hinwegzuführen.

Ist das Bild der Erblindeten das Konzept zur ästhetischen Verarbeitung der Blindheit, könnte, in die andere Richtung gedacht, das Bild ganz allgemein als eine Art Ursublimierung gesehen werden, die sich über all die Verletzungen, all die Ursachen für Verzweiflung legt, die ein „Und-Doch- Weiter“ in Gestalt der Ästhetik, in Gestalt von Kunst hervorbringt. Das Bild musste erschaffen werden, damit der Mensch wegsehen konnte, damit er im Sehen auch erblinden konnte.

Das Lightpainting entfernt den Sehenden die Augen, indem es ihre natürlich sichtbaren Objekte entfernt, das eigentlich Sichtbare zum verschwinden bringt. Aber Lightpainting gibt den Sehenden die Augen auch wieder zurück, indem es ihre Objekte wiedererschafft. Die wiedergewonnene Sicht der Sehenden aber hat sich verändert, sie ist karger geworden, karger der Blick auf die bekannten Dinge und Menschen, darin führt sie aber auch einen neuen Reichtum ein. Wie eine Berührung umgibt das Licht im Lightpainting sein Gesehenes, umhegt es gleichsam für das Auge der Sehenden. Indem das Licht das zu Sehende dem Auge geradezu zärtlich hingibt, entreißt es dieses der Gefräßigkeit des Auges, lässt das zu Sehende in einer Weise nackt erscheinen, die noch hinter die Nacktheit der Körper zurückgeht.

Zugleich aber stellt sich im Lightpainting der Riss der Erblindeten dar, der Bruch zwischen Berührung und Bild, der Riss hinein ins Bild, den die Berührung verursacht. Das blinde Bild entsteht unter Reflektion von Sehenden, bricht sich in der Beschreibung durch sie, ist also vom ersten Moment an in einem dialogischen Verhältnis zwischen Künstler*innen und Betrachter*innen.  Ein Teil der Produktion des Bildes ist vom ersten Moment an offengelegt, überprüft sich in seiner Ausführung. Das Bild der erblindeten Künstler*innen ist ganz offen auch ein Produkt der sehenden Beobachter*innen, folgt darin also einer Ästhetik, die anerkennt, dass nur in den Körpern der Betrachter*innen sich das jeweilige Werk entfaltet, zu sich kommt, indem es von  Betrachter*innen erneut hervorgebracht wird.

Aber was wird da eigentlich hervorgebracht, ist es nicht erneut die Zerbrochenheit  einer Wirklichkeit, die für die Erblindeten wie die Verkrüppelung einer Welt wirken muss.

Von daher wäre das Lightpainting die Darstellung eines Risses, eines Einschnittes hinein in die Welt, genauer, in das Bild der Welt, die Negation der Welt, die Negation des Bildes der Welt, die im Lightpainting der Erblindeten in den verschiedensten Variationen ihre Darstellung findet, durchgespielt wird: im Lightpainting erfahren Erblindete wie Sehende die Infragestellung „des Ganzen“, indem sein Medium, das Bild, in der Berührung infrage gestellt wird.

Während das Auges selbst immer wieder als gefräßig, als einverleibend gesehen wird, nimmt das Bild der Erblindeten im Lightpainting in seiner Konzeption und Produktion eine Beziehung zu Wesen und Dingen, zu Welt überhaupt ein, die es herausführt aus der zerstörerischen Gefräßigkeit, die das Licht zu einem Medium macht, das alles, was es umgibt in seine Berührung einbettet, die es wegführt von der bloßen grellen Überflutung des Ausstrahlens, die es als Berührung die Welt aufbereiten lässt, die es das Dargestellte in gewisser Weise hervorbringen lässt, es modelliert und dabei abschirmt, ja beschützt.

Ja, am Anfang des menschlichen Lebens ist die Berührung. Lightpainting ist eine Berührung durch Licht, die auffordert zum Ursprung der Welterfahrung zurückzugehen, zur Berührung, und dem was sich ihr hingibt. Lightpainting macht die Berührung sichtbar, und stellt Sehen in seinen ursprünglich taktilen Kontext zurück.

Lightpainting ist eine Berührung von Mensch und Welt in Licht, unter der beides verschwindet, um als seine jeweilige Spur unter Licht wiederzukommen.

Sonia Soberats befühlt das Gesicht eines Models

(c) Andi Weiland | http://www.andiweiland.de

Dieser Text erschien zuerst auf Gerald Pirners Blog Text zu Kunst

Fotos: Workshop Lightpainting Berlin 2017 © Andi Weiland; http://www.andiweiland.de

 

 

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Bild #6699 von Silja J

Lichtgebilde mit Frau im Hintergrund

Es lässt vermuten, dass das Bild mit dem Arbeitstitel #6699 eine photographische Aufnahme ist. Das Bild ist im Hochformat und zudem in Schwarz-Weiß abgelichtet. Der erste ungenaue Blick auf das Bild verfängt sich in den sehr hellen, in die vertikale Länge gezogenen kreisförmigen Gebilden, die in dünnen Linien, die zerfransten  Haarsträhnen ähneln das Bild dominieren. Gleichwertig dazu und ebenso auffällig zeigen sich die im unteren Drittel des Bildes angesiedelten drei sehr hellen blumenartigen Gebilde. Höchstwahrscheinlich wurden diese Gebilde mit einer langen Belichtungszeit und einer kleinen, per Hand zu bewegenden Lichtquelle realisiert. Es wirkt wie eine schnell ausgeführte Zeichnung, bei der die zeichnende Person an eine sommerliche Blumenwiese dachte, auf der ein von der Wärme angezogener auf- und absteigender Mückenschwarm tänzelt.

Bei genauerer Betrachtung verdeutlichen sich in dem zuvor wenig beachteten Hintergrund die Konturen einer Person. Aufgrund des ersten Eindrucks, der Kleidung und der Frisur, die die Person trägt, würde wohl die Mehrzahl der betrachtenden Personen diesen Menschen in die Kategorie „Frau“ einordnen. Mit Sicherheit lässt sich das aber als außenstehende Person so nicht bestimmen.

Der Oberkörper ist bis etwa zur Unterbrust zu sehen und positioniert sich eher links im unteren Teil des Bildes, so dass die rechte Schulter der Person am Schlüsselbeinansatz abgeschnitten ist. Die zuvor erwähnte Kleidung ist ein helles, mit dunklen Sternchen bedrucktes Oberteil mit Turtleneck-Kragen. Durch die linksseitige Positionierung des Oberkörpers ist folglich auch der Kopf der Person in der linken Bildhälfte zu finden. Das Gesicht blickt aus dieser Position ganz leicht nach oben und in einem 30 Grad Winkel zum frontal sichtbaren Oberkörper in die rechte Bildhälfte, in Richtung der betrachtenden Person.

Die Haare der Person sind glatt und in etwa Kinnlang, wobei vorne ein Pony geschnitten ist, und erinnern an einen Pagen-Schnitt. Die Augen und der Mund sind geschlossen, die Nase wirkt als würde sie in der Luft einen wundersamen, schönen Duft wahrnehmen. Das gesamte Gesicht wirkt sehr wohlig entspannt und genießend, verbindet sich so in Gänze mit dem Vordergrund und untermalt die Vorstellung von Sommer, Wiese und Wärme.

 

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