Gewürzstand

viele Reihen von Gewürztüten auf einem Markttisch

Gewürzstand

Es duftet! Exotisch, würzig, fantastisch! Ich könnte hier stundenlang
stehen und schnuppern! Jede einzelne Tüte ist ein Paradies für Nase
und Finger: Mal kleine Kugeln, mal getrocknete Stückchen, mal fein
pulverisierter Inhalt. Jedes Tütchen hat einen Schnappverschluss, den
man aufziehen kann – und jedes mal wartet eine andere Überraschung für
die nase auf den neugierigen Schnüffler. Das Rumpeln und Kreischen
einer Straßenbahn im Hintergrund nehme ich nur wahr, wenn es die
Kommunikation stört. Ich habe den stand erst kurz zuvor entdeckt und
werde in den kommenden monaten immer wieder gern hierher zurück
kommen, um zu schnuppern, Neues zu entdecken und kleine I-Tüpfelchen
für meine nase und Küche oder kleine geschenke für Freunde und
Verwandte mit nach hause zu nehmen.

Wir befinden uns auf dem Hackeschen Markt. Das Foto wurde an einem
Gewürzstand geschossen. In der oberen Hälfte des Bildes sind
verschiedenste Gewürztüten wie auf den Tribünen eines Sportstadions
aufgereiht. Die „Tribüne“ ist in drei Teile gegliedert: Es sind drei
Kästen zu sehen, in denen sich die Gewürztüten befinden. Man sieht
allerdings nur den mittleren ganz, die beiden Kästen rechts und links
davon sind nur teilweise abgebildet. In allen drei kästen sind jeweils
vier Reihen zu erkennen, bei dem linken sieht man oberhalb auch noch
eine fünfte. Alle Tüten sind durchsichtig. Sie sind etwa 10 x 4 cm
groß und haben ein weißes Etikett, auf dem der Name des Gewürzes
steht, z.B. „Curry“. Die Etiketten kann man auch fühlen, aber leider
muss ich mir zum Lesen sehende hilfe holen. Mir selbst erscheint der
Stand eher chaotisch und unübersichtlich, nicht so schön geordnet, wie
er anscheinend auf das schauende Auge wirkt. Aber das liegt vielleicht
daran, dass ich mich nicht sattriechen und satttasten kann und
allmählich den überblick darüber verliere, was ich alles schon in der
hand gehabt habe und was ich jetzt wirklich mitnehmen möchte. In der
Tüte kann man die einzelnen Gewürze erkennen, wobei die Farbpalette
der Schattierungen von hellgrün über gelb, orange und dunkelrot bis
hin zu braun reicht. Genauso vielschichtig ist die palette der
Gerüche: Von süßlich zu herb, von exotisch-unbekanntem zu Vertrautem,
von einzeln abgepackten Gerüchen bis hin zu komplexen Mischungen. Es
sieht auf jeden Fall sehr bunt aus, es sind aber keine grellen Farben,
sie bleiben in Naturtönen. Genauso bunt ist die Welt der Gerüche und
Tasteindrücke, aber es wirkt genau wie für das sehende Auge nichts
überparfümiert und unnatürlich; hier wurde kein tee aromatisiert oder
mit künstlichen Zusatzstoffen gearbeitet, nichts reizt Nase, augen
oder finger. Höchstens die Ohren begehren ab und zu gegen das
Kreischen der Straßenbahnräder oder die Kakophonie aus Stimmen,
Geklapper und Schritten auf. Von den Kästen sieht man jeweils nur die
orangefarbene Kante. Die Kästen stehen auf einem Tisch, der von einem
weinroten Samttuch abgedeckt ist. Das tuch kann man auch schön fühlen.
es hängt über den Tischrand und verleiht dem ganzen Stand etwas
elegantes, Vornehmes, das die ansonsten vorherrschende
schlicht-natürliche Atmosphäre gekonnt abrundet. In der linken
Bildhälfte vor den aufgestapelten Gewürztüten befinden sich zwei
braune, geflochtene Körbe. In dem linken Korb liegen weitere
Gewürztüten. Der rechte Korb ist etwas kleiner als der linke und in
ihm liegen ganze Muskatnüsse, ebenfalls jeweils in kleine Plastiktüten
abgepackt. Zwischen diesen Tüten steckt ein kleiner Zettel mit der
Aufschrift „Muskatnüsse ganz“. Es gibt auch ganze Zimtstangen, wie mir
gesagt wurde. Aber ich kann in meiner Küche mit gemahlenem Gewürz
besser umgehen, weil ich keine geeignete Reibe habe, um ganze
gewürzstücke zu zerkleinern und sie schlecht wieder aus heißem,
gekochtem Essen herausfischen kann, wie das z.B. bei Lorbeerblättern,
Zitronengras, Vanilleschoten oder Zimtstangen nötig ist, die man nicht
mitessen kann. Die Körbe verleihen dem natürlichen Ambiente etwas
rustikales. Schön wäre noch gewesen, wenn die natürlichen
Inhaltsstoffe auch von natürlichen verpackungen umschlossen werden
würden, z.B. von kleinen Jutesäckchen mit Zugband o.ä. Unter dem Korb
mit den ganzen Muskatnüssen steht noch etwas, das man aber nicht
erkennen kann, weil es teilweise von den Tüten verdeckt ist. Am
rechten Bildrand liegen auf dem Samttuch fünf Gewürztüten, die ein
orangegelbes Gewürz enthalten. Daneben sind noch zwei oder drei Tüten
mit einem dunkelroten Gewürz zu sehen. Hinter den Körben und den frei
liegenden Tüten steigen die Reihen der „Tribüne“ empor, während davor
im linken unteren Bilddrittel die Samtdecke über den Tischrand fällt
oder besser im linken Bilddrittel ausschließlich zu sehen ist, während
weiter rechts andere Dinge das Tuch teilweise verdecken. Im rechten
vorderen Teil des Bildes sieht man einen großen Korb mit etwas
größeren Gewürztüten. Einige davon enthalten hellere, andere dunklere
Gewürze, z.B. helle und schwarze Sesamkerne. Drei Tüten mit dunkleren
Gewürzen sind an die vom Tisch herabhängende Decke gelehnt. Das Bild
ist insgesamt sehr bunt und der Stand ist voll gepackt, macht aber
durch die fein säuberlich aufgestapelten Gewürztüten trotz der Fülle
des Angebots doch einen recht geordneten Eindruck.

Während des Besuchs am stand haben wir uns mehr auf die haptischen und
euphaktorischen Eindrücke konzentriert. Meine Beschreiberinnen haben
mir vor allem die Informationen auf den tüten erklärt, nicht so sehr
eine Gesamtbeschreibung des standes geliefert. Durch die starke
geräuschkulisse und die Fülle des Angebots wirkte alles sehr chaotisch
auf mich, keineswegs so geordnet, wie es für das auge des Betrachters
erscheinen mag. Am Schluss suchten wir uns alle ein Gewürz aus, das
wir mit in unsere küchen nehmen wollten. Zufrieden, aber auch etwas
erschöpft von den vielen sinnlichen Eindrücken, verließen wir
schließlich den markt.

Foto von Katrin Dinges,

Bildbeschreibung von Fränz Reuter und Katrin Dinges

Beides entstanden in unserem Fotoseminar für Blinde

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