Aus Zwei mach Eins – Katrins Gedanken zur Schattenserie

An diesem wunderschönen letzten Oktobertag wanderten wir in den kleinen Park in der Nähe der ASH. Ich wollte das schöne Wetter unbedingt nutzen, um ein paar Herbstbilder zu machen. Ich liebe diese Jahreszeit und hatte noch gar keine Fotos davon. Von Sommer, Frühling und Winter jede Menge, aber nicht vom Herbst.

Wir hatten überlegt, etwas mit Blättern zu fotografieren und das Spiel von Licht und Schatten im Bild festzuhalten. Wie wir schließlich auf die Idee mit den Doppelschatten gekommen sind, weiß ich nicht mehr, aber dieses Phänomen hat mich fasziniert: Ein Schatten mit einem Kopf, vier Armen und vier Beinen. Eine Art Fabelwesen also, wenn man den Ursprung des Schattens nicht kennt. Im Nachhinein ist mir klar geworden, dass ich an Schatten durchaus auch visuelle Erinnerungen habe. Das fasziniert mich besonders an der Fotografie: Wie durch die Beschäftigung mit visuellen Zusammenhängen bei mir Erinnerungen zurück kommen, die längst unter anderen Erlebnissen verschüttet gewesen sind und auf die ich sonst eigentlich nur im Traum oder bei Imaginationsreisen zurückgreifen kann, weil sie sich in einer tiefen Schicht meines Unterbewusstseins befinden.

Ich atmete diesen ganz speziellen Herbstduft nach verrottendem Laub, feuchter Erde und Abschied ein, spürte die sonne auf meiner Haut und fühlte mich wohl in dieser kreativen Gruppe, die immer neue Schattenkonstellationen ausprobiert hat. Anschließend gingen wir zu einem Stein und fotografierten die Hände von zwei Frauen im Laub, mit Laub bedeckt und die Gesichter der beiden in der Sonne. Besonders gefallen hat mir die Situation, in der wir alle unsere Hände ineinander verschränkt und sie dann fotografiert haben. Das hat ein schönes Gefühl von Verbundenheit in mir ausgelöst. Eine Teilnehmerin meinte in ihrer Bildbeschreibung, wir seien ein neu zusammengewürfeltes Team und hätten uns erst finden müssen. Seltsamerweise hatte ich gar nicht diesen Eindruck. Für mich hat es vom ersten Moment an eine gute Zusammenarbeit gegeben und die Ideen der einzelnen Gruppenmitglieder haben sich schnell zu einem harmonischen Ganzen zusammengefügt. Klar haben wir sehr unterschiedliche Situationen ausprobiert, aber genau das fand ich spannend und schön an dieser Arbeit, denn jede hat sich kreativ in die Gruppe eingebracht, so dass wir am Schluss wirklich schöne und interessante Fotos gemacht hatten.

Für mich stellte sich während der Arbeit an den Schattenfotos die Frage, was das eigentlich bedeutet – ein Schatten. Eigentlich ist die Antwort ja klar: Die Sonne fällt in einem bestimmten Winkel auf eine Person oder einen Gegenstand, der bei entsprechendem Licht einen dunklen Kontrast auf den Boden daneben wirft. Diesen Kontrast kann man auch als stark sehbehinderter Mensch gut erkennen. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen großen und einen kleinen Schatten, die nebeneinander auf einen Sandweg fallen und dabei leicht zittern, weil die beiden Gestalten langsam nebeneinander her gehen.

Aber was bedeuten diese schatten für uns? Sind sie ein abbild unserer Selbst? Wenn ja, was verstehen wir darunter, unter diesem Selbst? Oder welcher Teil des Ichs, des Egos, des selbst wird dort abgebildet, wiedergegeben, als dunkle Silhouette auf den Boden gebannt? Wir sind angeblich das einzige Tier, das sich über solche Dinge Gedanken machen kann. Das sich darüber den Kopf zerbrechen kann. Noch so eine seltsame Formulierung. Warum hat man für etwas, das sich hinter der Schädeldecke abspielt, in Gedanken besteht, die man weder sehen noch fühlen kann, gesagt, jemand zerbreche sich den Kopf? Wegen der Kopfschmerzen, die das verursacht? Hat sich ein verzweifelter Faustus wirklich irgendwann sein Oberstübchen eingerannt, weil das Denken zum Wahnsinn ausuferte? Kann an Tiecks Geschichte über einen Mann, der seinen Schatten dem Teufel verkaufte und damit auch seine Seele und bei dem verzweifelten Versuch, beides zurückzugewinnen, den Verstand verlor, wirklich etwas dran sein? Warum bildet ein Schatten lediglich die Konturen einer Person, eines Gegenstandes ab und keine Details?

Man könnte hier auf das Höhlengleichnis Platons verweisen und anführen, dass dieser Schatten so ist wie unsere Wahrnehmung von der Wirklichkeit. Das gilt ja auch für die Fotografie: Sie zeigt lediglich einen sehr kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit und stößt schnell an ihre Grenzen. Wir mussten ja bei zwei Beschreibungen auch erklären, was sich „hinter den Kulissen“ abspielte, um zu vermitteln, wie das Foto zustande gekommen ist. Und wie vermittle ich beispielsweise diesen wunderbaren Herbstgeruch auf einem Foto? Susanne hatte ja bei einer ihrer Serien die Idee, dem Publikum kleine Geruchsproben anzubieten. Ich weiß von einer Frau, die einen „Tanz im Kräuterbeet“ aufgeführt und davor den Besuchern kleine Kräutersträußchen zu riechen gegeben hat.

Aber diesen Herbstgeruch kann man schlecht in eine Tüte packen und Menschen zu riechen geben. Ein gepresstes Blatt duftet nicht mehr. Oder diese wunderbare Wärme auf der haut, die die Sonne erzeugt und die jetzt im Herbst zu etwas Kostbarem geworden ist, weil sie die Selbstverständlichkeit des sommers verloren hat, kann man zwar auf dem Foto erahnen, aber nicht spüren. Wie stelle ich eine Berührung dar, ein Gefühl, das über das reine Tastempfinden hinaus geht? Das ist auf einem Foto sehr schwer umzusetzen. Aber genau diese Grenzbereiche faszinieren mich und waren vielleicht auch unbewusst ein Teilanstoß zur Idee für diese Fotoserie.

 

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