STATUS: SCHON BESCHRIEBEN
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Vor einigen Wochen schrieb Jenny:
Habe das Fensterfoto nicht vergessen. Ich würde es so gern an einem Ort machen, wo im Moment ganz viel Wehmut liegt. Meine Omi musste in ein Pflegeheim. Nun wohnt ihr ganzes Leben in einem winzigen Wandregal und einem halben Kleiderschrank in einem kleinen Doppelzimmer, welches sie mit einer fremden Person teilen muss. Das lässt mich alles so nachdenken, über Sinn und Sein, über Werte und Erinnerungen, über das, was das Leben uns lässt. Aus ihrem Fenster würde ich gern fotografieren, in den begrünten Hinterhof.
Und hier nun das Bild:
Meine Fensterfotos sind leider verunglückt. Kann passieren, wenn man blind fotografiert. Das Draußen ist verschwommen geraten, sagte man mir, während das Fenster selbst mit Rahmen und Blume eher scharf gelungen ist.
Bildbeschreibung von Ewa Maria Slaska:
Fenster. Ein Fenster, das nicht besonders groß ist. Es ist ein modernes Fenster, das man nach innen kippen kann. Ist ja auch auf dem Foto leicht gekippt. Die Fensterrahmen sind braun mit schwarzer Gummidichtung. Der Fenstersims ist hell und glänzt ein bisschen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass am Fenster auch Jalousien angebracht sind, was erklären würde, was man da auf dem linken Fensterrahmen sieht, irgendeine silbergraue metallene Vorrichtung mit korallroten Griff. Hinter dem Fenster sieht man eine dichte, grüne Baumblättermasse. Linden vielleicht. Die Bäume sind alt, hoch, stark und gesund. Es tut gut, sie anzuschauen. Es ist wahrscheinlich Mai oder Juni, da das Grün noch frisch und partiell auch hell ist und keine Anzeichen der spätsommerlicher Welkheit aufweist. Die Luft ist ein bisschen grau, vielleicht hat es vorher geregnet. Jetzt regnet es nicht mehr, aber sichtlich ist es kein sonniger Tag. Vielleicht gar ein kühler Tag. Auf dem Fenstersims stehen zwei Blumentöpfe. Links ein graugrünlicher Übertopf mit rosaroten Kalanchoe in voller Blüte. Rechts ein etwas kleinere hellere Vase mit karminroter Celosia in länglichen Blütenknospen. Technisch gesehen ist das ganze Fenster, gar das ganze Bild, unscharf, und dies ist gerade das, was dem Bild Charme verleiht. Wie wenn man sagt, dass nur Männer ohne Fantasie schöne Frauen lieben. Jemand, der intelligent ist, wird keine Schönheit brauchen, sondern eine interessante Frau. Oder wie heute in der Berliner Zeitung, ein Satz von R. Stevie Moore, den legendären Gründer des Home-Recordings: „Perfektion ist mir egal. Ich mag schlechte Musik.“ Perfektes zwingt, die Perfektion zu bewundern. Aber dies ist schon alles. Sie lässt keinen Platz für Unerwartetes. Sie ist immer gleich. Unperfektes öffnet ein weites Feld für Imagination. Wie in der Kunstgeschichte. Interessant ist Romanik, weil man noch nicht alles kann und dann erst wieder der Impressionismus und alle seine Derivaten, weil da der Künstler absichtlich den Blick der Realität verstellt. Und das ist es, woran es ankommt. Die Wirklichkeit sehen wir selber. Für deren verstellten Blick brauchen wir Kunst.
Ich habe parallel zu Ewa auch meinen Teil geschrieben. Hier noch die Bildbeschreibung von Aljoscha:
Es ist ein Baum, der direkt vor dem Fenster steht, allerdings auch nicht sehr nah, seine Zweige reichen nicht bis zum Fenster, also ein paar Meter dazwischen gibt es schon, und auch ein Weg zwischen dem Haus und dem Baum, der schräg nach links führt, ist noch hinter dem Blumentopf auf dem Fensterbrett zu erahnen. Es könnten sogar einige Bäume sein, die nebeneinander stehen, die Laubbäume. Und das Fenster ist im ersten oder zweiten oder dritten Stock, man sieht also weder den Baumstamm, wie er aus dem Boden wächst, noch die Baumgipfel.
Einige dicke Zweige sind da und hier hinter dem Laub zu sehen, aber nichts hinter dem Baum oder den Bäumen selbst. Vielleicht ist es im Winter anders, wenn die Blätter abgefallen sind und die Bäume nur als Baumstamm mit größeren und kleineren Zweigen da stehen. Aber noch ist es Sommer, und das Grüne des Baums nimmt die gesamte Bildfläche im Fenster ein.