
Ein Schwarz-weiß-Foto im Querformat. Es ist das Portrait einer sitzenden Person. Von links nach rechts in drei gleich große Segmente zu teilen: Links ausschliesslich schwarz, rechts eine fleckige Wand mit Schatten und genau in der Mitte die Person direkt von vorn. Es handelt sich augenscheinlich um einen älteren Mann mit hellen kurzen Haaren und kräftiger Statur. Er sitzt sehr aufrecht mit leicht gespreizten Oberschenkeln, die sich am unteren Bildrand im Dunkeln verlieren. Er sitzt auf einer dunklen Fläche, keine übliche Sitzgelegenheit. Die Hände hat er entspannt im Schoß abgelegt. Er trägt eine helle Hose, ein helles Oberhemd, den obersten Knopf geöffnet. Darüber ein dunkles Jackett, in der Brusttasche einen Kugelschreiber.
Sein Kopf ist hoch erhoben, der Blick gerade in die Kamera, der Mund ist geschlossen, die eher schmalen Lippen leicht aufeinander gepresst. Das Licht in seinem Gesicht kommt von schräg links unten. Trotzdem ist er gut ausgeleuchtet, nur das rechte Ohr verschwindet im Dunkel. Eindrucksvolle Falten ziehen sich von der Nase bis unter die Mundwinkel, gebogen wie doppelte Klammern als Satzzeichen um seinen Mund. Seine eher hellen Augen liegen weit auseinander und es ziehen sich strahlenförmige Falten um die äusseren Augenwinkel. Die Augenbrauen sind buschig und graumeliert. Über die Stirn zieht sich eine kräftige Querfalte und zwei Falten, die die Augenbrauen nachzeichnen. Um seinen Körper herum und hinter seinem Kopf tanzen quirlige Lichtspuren. Sie zerren links an seinem Jackett als wenn sie es anzünden wollten und legen sich oben wie ein halber Heiligenschein um sein Haar. Sie können aber die unerschütterliche Konzentration und Ruhe, die seine Haltung ausstrahlt, nicht stören. Sie sorgen dafür, dass wir ihn gut ausgeleuchtet in dem überwiegend finsteren Raum sehen können.
beschrieben von Katrin Heidorn
Karsten Hein schreibt dazu:
Das Bild zeigt Gilbert Furian, einen Zeitzeugen der Gedenkstätte, dem ehemaligen Untersuchsgefängnis der Stasi, bei einer persönlichen Tastführung für Silja.
Gilbert war Mitte der 1980er Jahre 7 Monate lang in Haft für ein Heft über die Ostberliner Punkszene – sehr schöne Fotos, sehr interessante Interviews. Ein Heft, das sowenig staatsfeindlich war, wie Gilbert selbst . Er wollte auch nicht nach den anschließenden zwei Jahren Haft von der BRD freigekauft werden, was die DDR aus finanziellen Gründen durchaus wollte. Er wollte, auch wegen seiner Freundin in der DDR bleiben.
Gilbert hat uns nüchtern aber eindringlich das entwürdigende Aufnahmeverfahren beschrieben – in den Mund leuchten, nackt ausziehen, vorbeugen, damit man ihm in den Hintern leuchten konnte, Vorhaut zurückziehen, um zu gucken, ob er was darunter versteckt hatte, bei Frauen entsprechend die Vagina. Er sagt in dem Moment habe er sich innerlich von sich selbst abgespalten, er habe seine ganze Haftzeit über keine Empfindungen mehr zugelassen.
Zur Untersuchungshaft gehörte, dass man bis auf die Zahnbürste keine eigenen Gegenstände in der Zelle haben durfte. Keine Bücher, nicht Papier und Stift, gar nichts. Man durfte tagsüber nicht liegen und auch keinen Sport machen. Es blieb ein Hocker zum Sitzen und die vielleicht fünf oder sechs Quadratmeter zum auf- und abgehen. Prinzipiell konnte alle 10 Minuten ein Wärter durch das Guckloch schauen. Man hörte sie nicht kommen, sie hatten schallgedämpfte Schuhe. Es gab unzählige von ihnen, außerdem allein 80 Stasi-Offiziere zur Vernehmung der Inhaftierten.
Die Gefangenen waren unter ständiger Anspannung. Sie wussten nie, wann es wieder zur Vernehmung ging. Jeder Vernehmer hatte ein eigenes Büro. Eine riesige Anlage. Prinzipiell sollte erreicht werden, dass niemals ein Gefangener einen anderen zufällig auf dem Flur trifft. Wenn ein Wärter mit einem Inhaftierten auf dem Weg zur Vernehmung war, durfte kein anderer auf den Flur. Aber zu Gilberts Zeit gab es so viele Gefangene, dass er 6 von 7 Monaten in einer Zweimann-Zelle untergebracht war, mit einem Mitgefangenen, mit dem er sogar gut ausgekommen ist. Einmal im Monat durfte er unter Aufsicht des Vernehmers einen einseitigen Brief an seine Mutter schreiben. Besuch durfte er nicht bekommen. „Frischluft“ gab es für jede Zellen-Besatzung in der Regel jeden Tag (außer am Wochenende) 30 Minuten in einer Freiluftzelle 7×3 Meter, oben vergittert. Auch dort waren Gymnastik oder Geräusche verboten, normale Unterhaltung war erlaubt. Bei Verhör oder bei Regen fiel das aus.
Gilberts Vernehmer sprach höflich, nicht brutal mit ihm. Er durfte lesen. Bücher aus der Gefängnisbibliothek. Sein Vernehmer brachte ihm aber auch Bücher von zuhause mit. Das Essen für die Gefangenen war so gut, dass er seinen Vernehmer fragte, warum – seine Antwort: „Damit Sie mir beim Verhör nicht mit Wut im Bauch gegenübersitzen, nur weil Sie in der Zelle nicht genug zu Essen bekommen“.




