Selbstportrait im Spiegel von Katrin

An diesem eher düsteren und kalten Novembertag besuchten wir mit dem
Fotoseminar das Schloss Charlottenburg. Meine beiden Beschreiber
schafften es auf eine ganz wunderbare Art und Weise, mich für die
ausgestellten Dinge im Erdgeschoss zu faszinieren. Immer wieder trafen
wir auf Spiegel mit verschnörkeltem Rahmen. So etwas finde ich einfach
schön, deshalb machte ich einige Fotos davon. Dass ich bei einem davon
mich selbst im Spiegelbild eingefangen habe, wurde mir erst später
klar, als ich mit einer Assistentin ein Bild für den Blog auswählen
wollte. Sie war wirklich begeistert davon und so dachte ich, es wäre
spannend, eine genauere Beschreibung davon zu bekommen. Ganz vage habe
ich von früher noch eine Erinnerung davon, mich im Spiegel gesehen zu
haben und so frage ich mich, ob diese Beschreibung meine Erinnerung
vielleicht auffrischen könnte. Außerdem haben Spiegel ja in unserer
Gesellschaft eine durchaus wichtige Funktion: Ob nun im Märchen von
Schneewittchen, wo die eitle Königin von ihrem Spiegel hören will, sie
sei die Schönste im ganzen Land, der Spiegel aber behauptet, ihre
Stieftochter wäre die Schönste – eine zentrale Szene und der Anstoß
für die weitere Entwicklung des Märchens. Oder die Tatsache, dass
viele Menschen sich in einem Spiegel ansehen, um festzustellen, ob sie
gesellschaftlich akzeptabel aussehen – was immer das sein soll – oder
um sich zu schminken, d.h. ihr Gesicht zu verändern, zu verschönern
oder sich eine schützende Maske aufzumalen. Oder sei es im
übertragenen Sinne ein Spiegel des Verhaltens und ein Abgleich von
Selbst- und Fremdwahrnehmung, also ein Bild, das im übertragenen Sinne
den Spiegel der Gesellschaft darstellt. Wobei dann die Frage offen
bleibt, ob man selbst sich in der Gesellschaft oder die Gesellschaft
sich in einem selbst (wider-)spiegelt. Oder ob man vom Spiegel der
Projektionen spricht, also davon, dass man das, was man in anderen
sieht, in sich selbst trägt, ob nun im positiven oder negativen Sinn.
Oder man meint den Selbstreflexionsspiegel, der zwar teilweise extrem
grausam ist, aber auch sehr nützlich und hilfreich sein und den
Spiegel – oder besser die Spiegel, das Spiegelkabinett – der
Projektionen langsam ablösen kann, so dass man im Idealfall zu einem
harmonischeren Verhältnis zu sich selbst und anderen findet. Mein
Lieblingsbild in dieser Hinsicht ist der sich in einem spiegelglatten
See oder dem ruhigen Meer spiegelnde Sternenhimmel, der das Prinzip
„Wie oben, so unten“, also das ganzheitliche Weltbild schlechthin, am
treffendsten darstellt.

Ich finde es interessant, dass ein und derselbe Gegenstand so viele
und vielschichtige Interpretationen und Assoziationen ermöglicht. Mir
persönlich ist letztere Sicht am liebsten: Der Sternenhimmel, der sich
im Wasser spiegelt, so dass man nicht mehr so recht weiß, was oben und
was unten ist oder was die Wirklichkeit darstellt. Wenn man sowohl mit
seinem Äußeren als auch dem Inneren oder dem Selbst- und Fremdbild im
Reinen ist und sich in einer harmonischen Ganzheit bewegt, braucht man
auch das reale Spiegelbild nicht zu fürchten. Obwohl man ja oft gar
nicht weiß, was für ein Bild im gesellschaftlichen Spiegel ankommt.
Denn hier habe ich ja auch erst im Nachhinein bemerkt, dass ich mich
im Spiegel spiegele und mich dabei fotografiert habe, wie ich mich
spiegele und mich selbst fotografiere. Es ist also im Prinzip eine
andere Form des sich selbst umschließenden Ineinanderfließens
verschiedener Elemente. Ursprünglich wollte ich nur den Spiegel
fotografieren und habe an die Spiegelung gar keinen Gedanken
verschwendet. Das ist auch oft im realen Leben so: Man tut oder sagt
etwas und merkt gar nicht, wie es auf andere wirkt oder denkt auch
nicht darüber nach. Wenn man dies stets täte und verkrampft darüber
nachdächte, wie das, was man gerade tut, aufgenommen wird, könnte man
gar nichts mehr tun oder sagen. Unterschwellig ist dieser Gedanke aber
natürlich trotzdem da und man denkt oder tut etwas in dieser oder
jener Weise, weil man erwartet, dass es auf eine bestimmte Art und
Weise wahrgenommen wird. Ich denke, egal in welcher Form man sich
spiegelt oder sich etwas in einem selbst spiegelt – man sollte mit dem
Bild rechnen und es akzeptieren. Einerseits hat man sowieso keine
andere Wahl, andererseits aber auch die Möglichkeit, sich darüber
hinwegzusetzen. Ich als blinde Fotografin erfülle durch meine
Fotografie ganz bestimmt keine gesellschaftlichen Erwartungen, eher
das Gegenteil. Aber so, wie der Spiegel immer beide Seiten zeigt, das
sich in ihm Spiegelnde und das, was der sich Spiegelnde wahrnimmt, so
gibt es auch für die Fotografie den Austausch zwischen zwei Seiten
oder zwei verschiedenen Wahrnehmungsebenen: Durch meine Fotografie
kann ich einerseits durch die Nachfragen von sehenden Menschen dazu,
was mir das überhaupt bringt, erklären, wie meine Welt der Wahrnehmung
aussieht. Oder ich fotografiere etwas, das ich direkt wahrnehmen, z.B.
ertasten kann. Auf der anderen Seite erfahre ich durch die
Beschreibungen etliches über das Sehen und gewinne dadurch erneut
Zugang zu einem Teil meiner bisher verschütteten Erinnerungen an das,
was ich früher visuell wahrgenommen habe. Anfangs war das zwar sehr
schmerzlich, weil für mich klar ist, dass diese Zeit vorbei ist und
diese Möglichkeiten nicht mehr existieren. Aber inzwischen betrachte
ich es als Bereicherung, als Chance der gegenseitigen Befruchtung und
als mögliche Verschleierung von der angeblich so scharfen Grenze
zwischen sehend und nicht sehend. Denn oft ist es mir schon passiert,
dass sehende Beschreiber/innen durch meine Nachfragen auf den Fotos
etwas bemerkt haben, was ihnen sonst entgangen wäre, weil sie es nur
unbewusst oder gar nicht wahrnehmen. Und ich selbst bekomme
Informationen über meine Umgebung, die ich sonst nicht erfassen
könnte. So könnte man die Frage „Spiegelt sich die Gesellschaft in mir
oder spiegele ich mich in der Gesellschaft?“ umformen zu: „Was sehe
ich, wenn ich nicht sehe und was sehe ich nicht, wenn ich sehe?“ Bzw.:
„Wie kann man durch den Perspektivwechsel etwas erfahren, das sonst
nicht möglich wäre?“ Und: „Ist die Grenze zwischen Sehen und Nicht
sehen können wirklich so scharf, wie man allgemein annimmt? Wo liegt
diese Grenze überhaupt genau? Können wir das wirklich sagen? Ist das
wichtig?“ So kann man sozusagen auf beiden Seiten eine Hand durch den
Schleier stecken und sich gegenseitig mit neuen Eindrücken bereichern.
Was steckt hinter dem Schleier, dem Spiegel der anderen Seite?

Ein mann und eine Frau fotografieren in einen alten Spiegel

Bildbeschreibung von Rainer Komers:

Die Fotografin (Jeans, hellblaues Hemd, darüber geöffnete Sommerjacke in Pink, um den Hals eine Schmuckkette und an einem Band das graue Etui für den Fotoapparat, unter den rechten Arm einen Stock geklemmt, einen Schirm vielleicht) über ihre linke Schulter gebeugt ein weibliches Gesicht, dunkles Brillengestell, das brünette Haar schräg über die Stirn gelegt, mit Blick nach unten, ihre Lippen geschlossen, als hätte sie gerade etwas gesagt oder erklärt über das allseits ausgestellte Porzellan (Tassen, Schalen, Becher, Kannen mit überwiegend pflanzlichen Motiven, überwiegend in Preußischblau bemalt, rechts und links und unterhalb eines Spiegels auf gedrechselten Podestchen platziert, aber auch hinter der Fotografin in einem Spiegelsaal, überladen mit goldenem Stuck und weiteren in Goldrahmen gefassten Spiegeln, zwischen und unterhalb von Kapitellen gehängt und gestellt und im Spiegel sichtbar).
Doch nun zu dem Spiegelmöbel, vor dem die Fotografin mit ihrer Begleiterin haltgemacht und das Bild gemacht hat, den Augenblick eines Besuchs (man sieht noch andere BesucherInnen gespiegelt rechts und links von ihr, ein junger Mann fotografiert ebenfalls, bedeckt sein Gesicht gerade mit der Kamera) festgehalten hat und sich spiegelt. Nicht nur das Bild der Fotografin zeigt einen Ausschnitt, auch der Spiegel im Bild und der im Spiegel gespiegelte Spiegel rechts hinter ihr (oder ist es die Tür zu einem weiteren Spiegelsaal, vollgestopft mit weiteren Porzellan, einer hölzernen Standuhr?) zeigen jeweils Ausschnitte. Also endlich zum Spiegelschränkchen selbst, dem direkten Objekt der Fotografin. Auch von ihm sehen wir nur einen Ausschnitt, denn das obere Ende von Schrank und Spiegel ist abgeschnitten, in dem sich ein Deckengemälde spiegelt, ein antiker Portikus unter Sommerwolken, im Vordergrund eine halbnackte weibliche Figur, deren Vorderteil ein rötliches Tuch bedeckt, das dann weiter über ihre rechte Elle fällt. Unterhalb des Schrankspiegels zeigt ein Gemälde, eingefasst von einem schmalen Goldrahmen, den Blick auf eine bukolische, chinesisch oder japanisch anmutende Hügellandschaft, beherrscht von einer überlebensgroßen in eine Art Kimono gekleideten Frau und einem ebenfalls überlebensgroßen, fasanenartigen, dunklen Vogel. Das schmale, aus verschiedenfarbigen Hölzern zusammengeleimte Schränkchen zur Zurschaustellung von wertvollem Porzellan und zur Spiegelung der offenbar steinreichen Besitzer des historischen Ambientes und Mobiliars (18. Jahrhundert?) ist abgestellt vor einem bis auf den Boden reichenden und von einer transparenten Gaze abgedeckten Sprossenfenster. Ein Absperrseil soll Besucher daran hindern, weiter als bis zu diesem Spiegelschrank zu gehen, und ein moderner Heizkörper am linken unteren Bildrand ist ein weiteres Indiz für Modernes.

Der eigene Blick in den Spiegel ist immer subjektiv und immer spiegelverkehrt: Wie wirke ich auf mich, auf die Anderen in dieser verkehrten Welt? Die Fotografin auf unserem Bild blickt nach links unten, nicht direkt in den Spiegel. Einerseits scheint sie den Worten oder Erklärungen der über sie gebeugten Person zu lauschen, andererseits konzentriert sie sich auf das Auslösen des Fotoapparats, den sie perfekt zum Objekt und nur leicht in der Vertikale gewinkelt in den Fingerspitzen hält. Die intime Nähe der beiden Köpfe, des sprechenden und des zuhörenden, nachdenkenden und sich konzentrierenden, dominieren die Figurenkomposition und erinnern entfernt an klerikale Darstellungen in katholischen Kirchen. Offenbar verlangt die Übertragung des Gehörten von der Zuhörerin eine gewisse Anstrengung, ihr Gesicht und ihre Körperhaltung wirken angespannt, im Gegensatz zur von hinten über sie gebeugten Person, die eine gelassene Ruhe ausstrahlt, als wolle sie sagen: Mach dir keine Sorgen, es ist alles in Ordnung. Diese Person blickt, anders als die Fotografin, geradeaus nach unten auf die unterhalb des Spiegels goldgefasste Landschaft, als wolle sie die Geschichte, die das Bild erzählt, nacherzählen und Auskunft geben über Geschichte, Machart und Qualität des Bildes selbst.

Und dann gibt es noch den, der dieses durch die Netzübertragung verpixelte, und dadurch in den Details kaum erkennbare Bild beschreibt, es erst nach einer zweiten Aufforderung beschreibt, weil ihm zwar die Fotografin als Schreiberin und Diskutantin über ihre und seine Texte vertraut ist (obwohl beide sich physisch noch nie begegnet sind), andererseits ihn das vor der Kamera befindliche historische Möbel und das in seinem Spiegel abgebildete ‚orientalisch’ überfrachtete Inventar auf den ersten Blick abgeschreckt haben – ja, ‚auf den ersten Blick’, den meist flüchtigen, angesichts der Überfülle des täglich visuell zu verarbeitenden Materials auch abwehrenden Blick: „Nicht schon wieder, wie soll ich das schaffen, mich auch noch auf dieses Bild zu konzentrieren, habe ich denn nicht schon alle und alles gesehen?“ Und er fragt sich weiter, wie hat sich die Fotografin im Moment des Auslösens der Kamera gefühlt? Statt verbalen Erklärungen zu lauschen und sich daraus ein Bild zu machen, hätte sie nicht viel mehr über die hier beschriebenen Gegenstände erfahren, wenn sie die hätte berühren, ertasten können, aber das nicht hat machen können, weil das Besuchern eines Museums mit seinen wertvollen, unersetzlichen Exponaten grundsätzlich verwehrt ist? Ein Bild hat die Chance, dem Raster des Vergessens zu entkommen und nicht hindurchzufallen, wenn es eine Gestalt hat. Die Gestalt des hier beschrieben Bildes, unabhängig von meiner Beziehung zur Fotografin, beruht auf der offenbaren Unvereinbarkeit der in ihm abgebildeten Gegensätze: des feudal durch Ausbeutung zusammengerafften, der Neugier der Nachgeborenen zur Schau gestellten prunkvollen Besitzes und der demokratisch anmutenden, dank moderner Färbungstechniken ‚bunten’ Protagonistin im Zentrum des Bildes. Wie die Kommunikation zwischen diesen Gegensätzen verläuft, verlaufen könnte, wird im Foto nur angedeutet. Ihre Geschichte zu weiter zu erzählen, sie auszumalen, auszuschmücken, das wäre eine Bildbeschreibung jenseits von Dokumentarpixeln – und an diesem Punkt überlasse ich Dir das Feld, Katrin, Schreiberin und Fotografin, um unser Wort- und Spiegelbild fortzuschreiben, weiter zu malen, weiter zu spinnen.

Ein Kommentar

Eingeordnet unter schon beschrieben

Eine Antwort zu “Selbstportrait im Spiegel von Katrin

  1. Katrin schreibt dazu wiederum:
    Das erst, was mir passiert ist, als ich diese Beschreibung gelesen
    habe, war ein kleiner Schreck: Hatte ich tatsächlich an dem Tag ein
    hellblaues Shirt zu einem lila Kapuzenpulli an? Wie peinlich! Ich habe
    zwei schwarze T-Shirts, die sich so ähnlich anfühlen wie das hellblaue
    und hab es an dem Morgen nicht mehr mit meinem Farberkenner überprüft.
    Hoffentlich beißt sich das nur ganz wenig und sieht halbwegs
    gesellschaftsfähig aus. Aber das find eich jetzt doch ärgerlich im
    Nachhinein. Na ja zu ändern ist es sowieso nicht.

    Das zweite ist ebenfalls eine farbliche Überraschung: Ich dacht immer,
    mein Kameraetui wäre schwarz. Aber macht nichts: Grau ist ja auch eher
    neutral und stört somit nicht.

    Der Stock ist kein Schirm, sondern mein Taststock! Witzig, dass man
    den auch für so was halten kann, wenn er nicht genau zu sehen ist. Man
    hat mich schon mal gefragt, ob ich gehbehindert wäre, weil ich ja
    einen stock benutze. Das ist aber bisher nur zweimal passiert, wenn
    ich irgendwo damit rumstand und gewartet habe. War aber beide Male
    sehr lustig. ich glaub, die Leute haben gar nicht verstanden, warum
    ich so lachen musste.

    Kann mir jemand die Kette noch ein bisschen genauer beschreiben? Ich
    weiß nicht mehr, was ich an dem Tag für Schmuck getragen habe.

    Könnte mir jemand die junge Frau hinter mir, die sich auf dem Foto
    über mich beugt, noch etwas näher beschreiben? Sie ist eine sehr liebe
    Freundin und ich wüsste gerne, wie sie aussieht für Leute, denen sie
    unbekannt ist.

    Auch die floralen Motive auf dem Porzellan würde ich gern noch ein
    bisschen genauer beschrieben haben, weil ich mir unter dem Begriff
    floral erst mal eher nichts vorstellen kann. und was für ein Farbton
    ist preußisch-blau? Die Bezeichnung kenn ich gar nicht. Ich kenne
    marineblau, kobalt- und königsblau, also zumindest dem Namen nach.
    Aber preußisch-blau? Vielleicht kann mir jemand die konkreten
    Farbschattierungen genauer erklären, damit ich mir eine grobe
    Vorstellung davon machen kann, was was ist und wie man diese
    Farbnuancen auseinanderhalten kann, wenn man sie sieht.

    Ich finde, die Überladenheit des Raums kommt gut in der
    stichpunktartigen, vor allem aufzählenden Sprache zur Geltung. Der
    Raum muss wirklich überladen gewesen sein. Die Sprache scheint diese
    Überflutung an Eindrücken mit zu transportieren, die der Betrachter
    beim Ansehen des Bildes empfunden haben mag. Es scheint ein richtiges
    Spiegelkabinett zu sein, mit allem möglichen versehen, was sich darin
    spiegeln könnte. Mir wurde auch beschrieben, dass teilweise die
    Spiegel so aufgestellt waren, dass sie sich gegenseitig ineinander
    gespiegelt hätten und es dadurch ausgesehen hätte, als seien noch mehr
    Gegenstände vorhandne, als sowieso schon. D.h. diese Blickfänge,
    -überforderungen und -verwirrungen müssen ganz bewusst gewollt sein.
    Es soll überfüllt wirken, damit man zeigen kann, was man alles
    zusammengerafft hat.

    Aber es sind nicht nur viele Dinge, sondern auch einige menschen,
    Touristen vielleicht und andere Fotografen unterwegs. Also insgesamt
    viel und voll.

    Die Satzstrukturen mit den vielen Einschüben in Klammern finde ich
    übrigens ziemlich irritierend beim Lesen, weil sich dann teilweise
    manche Formulierungen auf etwas viel weiter vorn im Satz beziehen, das
    man schon gar nicht mehr richtig im Kopf hat, weil die
    Satzverschachtelung so groß ist. Ich weiß ja, dass der Kommentator
    auch in seiner Lyrik um mehrere ecken denkt und gern surreale Bilder
    malt, die gezielt verwirren sollen. Wenn man das weiß, kann man sich
    darauf einstellen – auch wenn ich nicht behaupten kann, dass ich
    einfach so alles verstehen würde ohne Tipps und zusätzliche
    Erläuterungen. In einer Bildbeschreibung finde ich das eher
    anstrengend, weil man zu viele Details auf einmal bekommt, bei denen
    man auf jedes einzelne eingehen möchte – jedenfalls geht es mir so.
    Dadurch musste ich manche Sätze mehrfach lesen, um zu überlegen, ob
    ich alles berücksichtigt hatte.

    Es wird immer betont, man sähe nur einen Ausschnitt von etwas. Ist das
    ein bewusster Hinweis auf Platos Höhlengleichnis? Sprich: Wir nehmen
    immer nur einen Ausschnitt der Realität wahr?

    Was bitte ist ein Portikus? Das Wort habe ich noch nie gehört. Du
    schreibst, dass sich „ein antiker Portikus“ auf einem Wandgemälde im
    Spiegel spiegelt. Interessant, was man früher unter schönen Gemälden
    verstand. Das mit dem rötlichen Mantel klingt ganz hübsch, aber
    ansonsten weiß ich nicht, ob mir dieses Gemälde gefallen würde. Kann
    vielleicht jemand noch ein paar Details dazu beisteuern, damit ich mir
    eine bessere Vorstellung daraus machen kann, was auf diesem Gemälde zu
    sehen ist? Und war es jetzt noch gleich an der Wand oder Decke?
    Welchen unterschied würde die veränderte Position machen, wenn es
    nicht an der Decke, sondern an der Wand hinge oder umgekehrt? Wie
    sieht das Licht in diesem Raum insgesamt aus?

    Zu dem zweiten Gemälde unterhalb des Spiegels: Was ist eine bukolische
    Hügellandschaft? Und wie sieht ein Kimono aus? Was empfindet man als
    überlebensgroß? Wenn ich mich recht erinnere, wollte ich glaube ich
    ursprünglich das Bild fotografieren bzw. den Vogel. Daher wäre es
    schön, wenn der noch etwas genauer beschrieben werden könnte.

    Woran sieht man an dem Schränkchen, in den der Spiegel eingelassen
    ist, dass er aus verschiedenen Hölzern besteht?

    Wie genau sieht ein Sprossenfenster aus?

    Stimmt, das Absperrseil und der Heizkörper wirken in diesem auf
    historisch gemachten Ambiente etwas Fehl am Platz. Interessant, wie
    hier Modernes und Vergangenes ineinander greift.

    Die Fragen finde ich klasse. Das sind ja Fragen, die man sich
    vielleicht nicht nur stellt, wenn man in einen Spiegel blickt. Wie
    wirke ich auf mich in diesem Augenblick bzw. wie habe ich gewirkt?
    Soweit ich mich erinnere, war ich einerseits gelöst und entspannt,
    weil ich mich an einem interessanten Ort befand und mit Menschen
    zusammen fotografieren konnte, die mir alles um mich herum so
    beschrieben haben, dass ich mir eine eigene Vorstellung davon machen
    konnte. Ein bisschen angespannt war ich, weil der Nachmittag
    anstrengend für mich war und ich mich auf die Worte meiner
    Beschreiberin und meines Beschreibers konzentrieren musste. Aber ich
    wurde gut in die Lage versetzt, selbst entscheiden zu können, was ich
    fotografieren wollte, was meine rMeinung nach interessant für die
    Kamera und für Bildbeschreibungen sein könnte. Wie ich auf andere
    gewirkt habe, weiß ich nicht. Da wäre ich auf Feedback von anderen
    Menschen angewiesen. Denn die Fremdwahrnehmung habe ich ja leider
    nicht in dem Fall. Den Aspekt, dass man im Spiegel alles verkehrt
    herum sieht, habe ich gar nicht berücksichtigt. Ist vielleicht doch
    schon ein bisschen sehr lang eher, dass ich damit aus direkter eigener
    Anschauung heraus selbst etwas anfangen konnte. Die Formulierung „in
    dieser verkehrten Welt“ finde ich schön gewählt. Sie verweist
    einerseits auf die verkehrte, also umgedrehte Welt im Spiegel, aber
    vielleicht auch indirekt darauf, dass vieles in dieser Welt verkehrt
    läuft, verkehrt herum wahrgenommen wird. Wenn man das weiterdenkt,
    könnte es sich auch auf Verkehr, also den Straßen- und persönlichen
    Verkehr mit anderen Menschen beziehen. Da hätten wir viele
    Verknüpfungen, die der Schreiber wahrscheinlich gar nicht alle gemeint
    hat, die sich aber doch in diesem kleinen Wort verbergen. Sozusagen
    ein kleines Universum für sich, genauso wie die Welt im Spiegel. in
    vielen Märchen und Mythen ist der Spiegel entweder eine Quelle der
    Hellsichtigkeit, des Spiegels im eigentlichen Sinn, sowohl äußerlich
    wie innerlich oder ein Tor zu einer anderen Welt. Vielleicht würde
    man, wenn man diesen Spiegel berührte oder hindurch ginge, im
    18.Jahrhundert landen, als der Spiegelsaal noch benutzt wurde und die
    Spiegelung hochherrschaftlicher Zwecke zur Verfügung stehen musste.

    Die Beschreibung der Fotoposition und meiner Konzentration sowohl auf
    di eErklärungen als auch auf das Auslösen des Fotoapparats ist sehr
    treffend wiedergegeben. Mir ist noch gar nicht aufgefallen, dass ich
    die Kamera in so einem Moment vor allem mit den uFingerspitzen halte.
    Aber sie ist zum Glück so klein und leicht, dass das damit geht.

    Ach du je! Wie zwei Madonnen wollten wir ganz bestimmt nicht wirken!
    Spannend, was man aus einem Bild so alles herauslesen kann. Auch deine
    genaue Beobachtungsgabe ist bemerkenswert. Spannend, wie
    unterschiedlich wir auf diesem Bild rüberkommen. Aber es ist schon
    sehr genau getroffen, was du beschreibst. So genau, wie du es hier
    suggerierst, war die Beschreibung des unteren Bildes nicht. Es ging
    lediglich um das, was darauf abgebildet ist. Aber wenn man darüber
    nachdenkt, ließe sich natürlich aus der Beschreibung auch eine
    Geschichte machen, z.B. über die Vogelfrau, die von Fasanen umgeben
    wird und sich auch in einen verwandeln kann, weil sie in Wirklichkeit
    eine Fasanin ist, die sich in eine Menschenfrau verwandeln kann. Oder
    über das Vogelmädchen, dem die wilden Vögel vertrauten, die am
    Wasserfall nisteten, weil sie so schön pfeifen und singen konnte, die
    aber von fremden Soldaten verschleppt und gezwungen wurde, sich um den
    Sohn eines reichen Mannes zu kümmern. Oder von der Frau und dem Fasan,
    die von einer besonderen Quelle tranken und dadurch so groß wurden,
    dass jeder sich vor ihren riesigen Trampelfüßen und scharfen
    Riesenkrallen fürchtete, wodurch sie sehr einsam wurden, aber auch die
    Möglichkeit bekamen, einen bösen Herrscher zu besiegen und zu
    verjagen. Oder … Es ließen sich sicher noch einige weitere Szenarien
    denken.

    Wieso ist das Bild in den Details kaum erkennbar?

    Danke für die Beschreibung Rainer, auch wenn du etwas Anlauf gebraucht
    hast. Danke, dass du noch einen zweiten Blick nach dem ersten,
    flüchtigen, ablehnenden gewagt hast. Bei diesem Bild kann ich nach der
    Beschreibung verstehen, dass es den Betrachter erst mal überfordert.
    Mir war durch die erste, flüchtige Beschreibung bzw. auf einzelne
    Details fixierten Beschreibung nicht bewusst, wie überfrachtet und
    vollgestellt der Raum war. Vielleicht liegt das auch an der Größe des
    Saals, der auf mich eher leer und kühl gewirkt hat, dass ich das nicht
    so sehr wahrnehmen konnte. Wäre es ein enger, vollgestopfter,
    überheizter Raum gewesen, hätte ich das sicher viel stärker
    nachempfinden können. Ich habe schon mitgekriegt, dass dort viel
    ausgestellt war, aber so viel kam es mir dann doch nicht vor.

    Wie genau ich mich im Moment des Auslösens des Fotos gefühlt habe, ist
    schwer im Nachhinein zu beantworten. Ich denke, das ist weniger ein
    Gefühl als vielmehr eine Konzentration auf die aktuell anstehende
    Aufgabe. Beispielsweise scheine ich bei vielen Fotos die Kamera nicht
    richtig ruhig gehalten zu haben. daher konzentriere ich mich auf meine
    Hände und versuche, sie möglichst still zu halten. An diesem
    Fotonachmittag hat man mir auch oft geholfen, die richtige Haltung der
    Kamera zu finden, um ein bestimmtes Objekt richtig ablichten zu
    können. Vielleicht hat es auch mit einer gewissen Neugierde auf das
    gewählte Fotomotiv zu tun. Natürlich werden nicht alle Fotos
    beschrieben, vor allem nicht in dieser Ausführlichkeit. Aber es
    besteht zumindest für jedes Foto eine theoretische Möglichkeit, in den
    engeren Kreis der Beschreibungen zu kommen. Warum mich Beschreibungen
    und Fotografie interessieren, habe ich an anderer Stelle schon
    ausführlich beschrieben. Es ist auch immer faszinierend, wie der
    Fotoprozess an bestimmten Tagen funktioniert. Das ist eine Mischung
    aus gewollten Fotos, von denen ich ja im Moment des Auslösens nicht
    weiß, ob sie was werden, theoretischer Vorfreude auf die
    Beschreibungen und harmonischer Interaktion mit der/dem/den
    Beschreiber/in/nen. Aber es ist ja sowieso schwierig, Gefühle genau zu
    beschreiben oder zu erklären. Wir haben bestimmte Begriffe festgelegt,
    mit denen wir das tun können; aber ich finde, diese Wörter sind sehr
    unzureichend, denn meistens ist ein Gefühl nicht genau festzulegen, da
    es viel zu unbewusst empfunden wird und man sich nur bis zu einem
    gewissen Grad reflektierend austauschen kann. Außerdem handelt es sich
    meistens um ein Zusammentreffen von teilweise sehr unterschiedlichen
    Gefühlssträngen, die man oft nicht richtig benennen kann, weil es für
    die Summe davon keine Wortkonnotationen gibt.

    Ja, es wäre sehr viel schöner gewesen, hätten wir die Exponate
    berühren können – und sei es auch nur mit Handschuhen. Das war in
    diesem Museum aber leider nicht möglich und wir wurden sofort
    verwarnt, als ich es bei einem verschnörkelten Holzrahmen getan hatte.
    Es gibt in Berlin einige Museen, die inzwischen auf die Bedürfnisse
    blinder und sehbehinderter Menschen eingestellt sind und Anja Winter
    bietet einige Führungen dort an. Leider gehörte das Charlottenburger
    Schloss anscheinend nicht dazu. Daher musste ich auf die geliehenen
    Augen und tollen Beschreibungen meiner Begleiter zurückgreifen.

    Ich finde den Aspekt interessant, den du ansprichst: Du meinst, ein
    Bild fällt weniger leicht durchs Raster, wird weniger schnell
    vergessen, wenn es eine Gestalt hat. Was müsste also für dich ein Bild
    haben, damit du innehältst, es gern und lange anschaust und dich
    später auch noch daran erinnerst?

    Hier sind es also die Gegensätze, die reizvoll wirken. Das, was du
    dazu anmerkst, klingt allerdings ziemlich gesellschaftskritisch.
    Natürlich spielen alle diese Aspekte eine Rolle und beeinflussen die
    Stimmung sowie die Art und Weise, wie das Foto entstanden ist. Doch
    ich bin mir nicht sicher, ob ich mir das an dem Tag so sehr bewusst
    gemacht habe. Unterschwellig ist natürlich schon ein Widerwille gegen
    die Kolonialmacht, die Unterdrückung anderer Völker sowie der
    gewaltsam entwendeten Kulturgüter und der protzenden
    Zur-Schau-Stellung des Reichtums vorhanden gewesen. Aber während des
    Fotografieprozesses ging es eigentlich mehr um die Faszination am
    orientalisch-Exotischen und der Suche nach einem interessanten
    Fotomodell.

    „Wie die Kommunikation zwischen diesen Gegensätzen verläuft, verlaufen
    könnte, wird im Foto nur angedeutet. Ihre Geschichte weiter zu
    erzählen, sie auszumalen, auszuschmücken, das wäre eine
    Bildbeschreibung jenseits von Dokumentarpixeln – und an diesem Punkt
    überlasse ich Dir das Feld, Katrin, Schreiberin und Fotografin, um
    unser Wort- und Spiegelbild fortzuschreiben, weiter zu malen, weiter
    zu spinnen.“
    Oh, da hast du mir ja eine ganz schön große Aufgabe übertragen. So
    eine Bildbeschreibung wäre auch für mich interessant: Erst beschreibt
    man, was real zu sehen ist und anschließend erzählt man, was man
    hinter dem Bild sieht, welche Assoziationen es auslöst. Oder
    umgekehrt: Erst die Assoziationen und später die Bildbeschreibung. Das
    wäre sogar spannender. Stellt euch vor, dass hier zuerst die
    Assoziationsketten gepostet werden, zu denen dann jemand anderes
    vermuten soll, was auf dem Bild zu sehen ist. Als Gegensatz dazu folgt
    dann die Bildbeschreibung, die noch mal weitere Assoziationen wecken
    könnte und ganz am Schluss, als allerletztes das eigentliche Foto.
    Wäre das nicht schön spannend?!

    Aber jetzt zu meiner Assoziationskette: Nun, natürlich stecken wir in
    einer Zeitmaschine. Aber in einer, die sozusagen beidseitig
    funktioniert: Die Moderne kommt ins 18. Jahrhundert und das 18.
    Jahrhundert in die Moderne. Bzw. gibt es einen Ort, eine Zeit, wo
    beide Epochen zusammen in einen Kochtopf geworfen, geschmort und
    hübsch durchgerührt werden. Was dabei herauskommt, sehen wir in diesem
    Bild: Ein Mix aus beiden Zeiten. Auf dieser Ebene, sozusagen am
    Esstisch der Epochen, sitzen wir, die Fotografin und ihre
    Beschreiber/innen, zusammen mit den Schlossbewohnern und lassen uns
    die Zeitensuppe schmecken. Hinterher sind wir alle auf demselben
    Kenntnisstand und haben aus erster Hand eine Menge über die jeweils
    andere Sichtweise gelernt bzw. uns über die Gruppe den
    Zeitenmischmasch einverleibt. Ob wir allerdings in unsere jeweilige
    Zeit zurückkehren können, hängt sehr davon ab, ob wir die Prüfung des
    Spiegels bestehen. Worin besteht diese Prüfung? Werden wir es
    schaffen, sie zu meistern? Nun, diese Frage wird die Zukunft
    beantworten. Vielleicht haben wir ja Glück und eine vernunftbegabte
    Wesenheit aus dem Blog-Universum hat einen Tipp für uns, wo wir nach
    der gestellten Aufgabe suchen bzw. wie wir ihren Inhalt erfahren
    könnten …

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